Es ist eine höchst vergnügliche, interessante, aber auch wehmütige Reise in die Vergangenheit, die Danielle Spera hier vorlegt. In ihrem Vorwort gibt sie einen Überblick über die vielen prominenten Namen jener Stammgäste, die sich am Semmering dauerhaft niederließen oder hier die Sommermonate verbrachten: Arthur Schnitzler, Alma Mahler und Franz Werfel, Hugo von Hofmannsthal, Theodor Herzl, Richard Strauss, Carl Zuckmayr, Hedy Lamarr, - um nur einige wenige zu nennen.
Zitat: Das Fin de Siècle, die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, markierte für die gesamte Region eine Blütezeit. Jüdische Unternehmer, Künstlerinnen und Künstler ließen sich von prominenten Architekten Villen und Landhäuser errichten. Das jüdische Großbürgertum sorgte auch auf diesem Weg dafür, dass das Semmeringgebiet einen enormen Investitions- und Entwicklungsschub erlebte.
Der Zweite Weltkrieg stellt eine drastische Zäsur dar, Gebäude wurden arisiert, die Bewohner*innen wurden vertrieben und ermordet. Dennoch kamen ab den 1950er Jahren wieder jüdische Familien zum Skifahren oder Wandern auf den Semmering, manchen ehemaligen Hausbesitzer*innen gelang eine Rückgabe ihrer Villen. Die bereits vor dem Krieg sehr beliebte Hakoah-Hütte – betrieben vom jüdischen Sportverein – wurde wiederbelebt, einige Pensionen wurden wieder von orthodoxen jüdischen Familien frequentiert. Vom früheren Glanz war jedoch wenig übrig, resümiert Danielle Spera.
Zitat: In den 1970er Jahren griffen neue Arten des Sommertourismus Platz. Urlaube an der Adria und später ferne Destinationen wurden populär. Die Stammgäste fuhren nicht mehr zum Semmering, sondern auf dem Weg in den Süden daran vorbei. Nach und nach wurden die Hotelbetriebe stillgelegt. Die Überreste der Prachtbauten stehen bis heute als Symbol einer modernen und künstlerisch inspirierenden Epoche.
Die Herausgeberin hat zahlreiche Historiker*innen und Autor*innen um Beiträge zu verschiedensten Aspekten der Semmeringregion gebeten. Da geht es um die Architektur der unzähligen wunderschönen Villen genauso wie um Trachtenmode, die jüdischen Menschen mit Beginn der NS-Herrschaft verboten wurde, um sportliche Aspekte und die Wichtigkeit der Eisenbahn, die vielen Menschen die Anreise ja erst ermöglichte. Noch heute ist der 20-Schilling-Blick, jener Teil des Semmering-Viadukts, der auf dem entsprechenden Geldschein abgebildet war, ein beliebtes Ausflugsziel. Die Medizinhistoriker Josef Hlade und Herwig Czech beschäftigen sich in ihrem Beitrag mit dem Kur- und Gesundheitstourismus.
Zitat: Sowohl das 1882 fertiggestellte Südbahnhotel als auch das 1913 ausgebaute Panhans verfügten über eine Kurabteilung unter ärztlicher Leitung. Im Panhans hatte jedes der mehr als 400 Zimmer, inspiriert von der Bauweise Schweizer Sanatorien, eine Freiluft-Loggia. Außerdem gab es eigene Räumlichkeiten zur Anwendung hydrotherapeutischer Verfahren, einen Saal mit mechanischen Übungsgeräten, ein Röntgeninstitut und sogar ein Labor für Blut- und Harnanalysen.
Das Buch besticht aber nicht nur durch seine überaus gut recherchierten Textbeiträge, es ist auch eine wunderbare Sammlung historischer und aktueller Fotografien. Besonders hervorzuheben ist der Artikel des Kulturwissenschaftlers Christian Maryška über den Grafiker Hermann Kosel, der mit seinen Plakaten vor allem in den 1930er Jahren den Auftritt der Region Semmering prägte.
Freilich geht es in diesem Buch auch um den Zweiten Weltkrieg, der nicht vor dem Semmering haltmachte. Ganz im Gegenteil, wie der Autor und Großneffe einer Sanatoriumsbetreiberin am Semmering, Richard Weihs, und die Politikwissenschaftlerin Julia Windegger in ihrem Beitrag berichten.
Zitat: Während des Zweiten Weltkriegs spielte der Semmering eine entscheidende Rolle im Rahmen nationalsozialistischer Aktivitäten. In den späten 1930er Jahren wurde das Hotel Panhans nicht nur als Rückzugsort für Hermann Göring, sondern auch als Schaltzentrale strategischer Planungen für bedeutende militärische Operationen genutzt. Reichsmarschall Göring wählte das Panhans als Ort für geheime Besprechungen mit hochrangigen Militär- und Parteiführern im Zusammenhang mit dem Balkanfeldzug.
Gespräche der Herausgeberin mit Zeitzeug*innen geben dem Buch eine sehr persönliche, intime Note. Es sind zum Teil kindlich-naive Erinnerungen an lange Sommer mit Versteckspielen oder ausgedehnten Wanderungen, die schließlich jäh beendet wurden. Wie so oft, wenn es um Erzählungen jüdischer Menschen geht, die den NS-Terror durch Flucht oder in Verstecken überlebten, beeindruckt auch hier der feine Humor und der Optimismus, den diese Menschen sich erhalten haben.
Ein wichtiges Buch, das erstmals das einst blühende jüdische Leben am Semmering aus einer Vielzahl an Blickwinkeln beleuchtet.