Für die Sendereihe Dimensionen habe ich drei Sendungen gebastelt. Es geht um die Macht, die das Radio gesellschaftspolitisch haben kann. Einer meiner Interviewpartner, der in allen drei Sendungen vorkommt, ist der Historiker Stefan Benedik vom HdGÖ, mit dem ich bei diesem Projekt ein bisschen zusammengearbeitet habe. Im HdGÖ wird es ab Jänner eine Radio-Ausstellung geben, bereits jetzt gibt es dort einiges zu entdecken.
Teil 1 am 7. Oktober 2024 um 19.05 Uhr: Grândola, Vila Morena: Wie ein Lied die Nelkenrevolution anstimmte
Radio überwindet Grenzen – physische genauso wie ideologische. Als am 25. April 1974 im portugiesischen Radio das Protestlied "Grândola, Vila Morena" gespielt wird, verlassen die Militärs ihre Quartiere und marschieren nach Lissabon. Es ist das vereinbarte Zeichen für den Beginn der Revolution. Stunden später ist die verhasste, von Verhaftungen, Repressionen und Folter geprägte Diktatur zu Ende.
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Screenshot der Jubiläums-Homepage. |
Ich habe Lissabon im April zum 50. Jahrestag der Nelkenrevolution besucht, um die Stimmung einzufangen und ein paar Interviews aufzunehmen. Die Historikerin Irene Pimentel, die unermüdlich über die Zeit der Diktatur publiziert, erinnert sich an die Nacht vom 24. auf den 25. April 1974. Sie war damals 23 Jahre alt, politisch aktiv und gerade mit Freunden unterwegs, um Plakate gegen den Unabhängigkeitskrieg in der Stadt anzukleben. Als sie am Radiosender "Radio Clube Portugues" vorbeifahren, ahnen sie nicht, dass dieser bereits von Putschisten besetzt ist. Die Gefahr für die jungen Leute, verhaftet zu werden, ist also sehr gering. "Es war der Beginn eines neuen Lebens", sagt Irene Pimentel in meiner Sendung.
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Copyright CD25A |
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Adelino Gomes interviewt Hauptmann Salgueiro Maia. Copyright RCCerveira |
Emotional ist der traditionelle Gedenkmarsch am 25. April dieses Jahres in Lissabon, den ich während meiner Ö1-Dienstreise natürlich auch besuche. Ein paar Wochen zuvor hatte bei den Wahlen die ultra-rechte Partei "Chega" ("Es reicht") extreme Gewinne eingefahren. Der Marsch wird zur eindrücklichen Demonstration für Frieden und Demokratie. 220.000 Menschen gehen auf die Straße, singen gemeinsam "Grândola, Vila Morena", jenes Lied, das im Radio als Signal für den Beginn der Nelkenrevolution gespielt wurde.
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Per Zufall treffe ich meine ehemaligen Mitbewohnerinnen aus Porto, Mariana und Joana, mitten am Rossio-Platz. |
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Copyright RFE/RL |
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Susanne Benedikt (später verh. Ouvadia) in Paris. Copyright Ernst Strouhal |
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Copyright RFE/RL |
Später dokumentiert RFE die Niederschlagung des Prager Frühlings im Jahr 1968 - viele fliehen daraufhin ins Exil, auch Petr Brod - und die Samtene Revolution im Jahr 1989.
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Zu diesem Bild schrieb mir Petr Brod (zweiter von rechts): "Das muss 1989 gewesen sein, das war das einzige Jahr, in dem ich Krawatte getragen habe." Copyright Petr Brod |
Petr Brod kehrt nach Prag zurück und arbeitet ab 1990 als erster ständiger RFE-Korrespondent, sein erster Einsatz ist die Pressekonferenz der Rolling Stones, die Mitte August 1990 im Prager Strahov-Stadion auftreten. Die tschechische Journalistin Lída Rakušanová erlebt die Tage der Befreiung hautnah in der Münchener Zentrale. „Ich war am richtigen Tag am richtigen Ort und habe es nicht vermasselt. Das war ein gutes Gefühl“, sagt sie, als ich sie in ihrer Prager Wohnung besuche.
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Lída Rakušanová in der Redaktion in München. Copyright Josef Rakusan |
Teil 3 am 21. Oktober 2024 um 19.05 Uhr: Hate Radio: Mit Hassparolen zum Völkermord in Ruanda
1994, Ruanda: Im Radio spielt RTML coole Popmusik, der Moderator ist lässig und aufgekratzt. Der beliebte Sender wird im ganzen Land gehört. Doch zwischen Rock-Nummern und Blues-Balladen wird die Volksgruppe der Hutu aufgerufen, die Tutsi – die als "Kakerlaken" bezeichnet werden – umzubringen. Innerhalb weniger Wochen werden 800.000 Menschen getötet. Ancilla Umubyeyi hält sich zum Zeitpunkt des Genozids gerade in Österreich auf. Sie lebt noch heute mit ihrem Mann und zwei erwachsenen Kindern hier. Ich besuche sie in ihrer Wohnung, bekomme ruandische Limonade serviert. Doch das Thema, über das wir sprechen, ist tragisch, immer wieder kämpft meine Interviewpartnerin mit den Tränen. Ancilla Umubyeyi verliert im April 1994 fast ihre ganze Familie. Ihre Eltern kann sie später in der Stadt Kigali begraben: "Von meinem Bruder wissen wir nicht, wo er gestorben ist. Wir haben ihn nicht gefunden."Vor rund zehn Jahren beschäftigte sich Milo Rau, Theatermacher und Leiter der Wiener Festwochen, mit der ruandischen Geschichte. Er fand französische Transkripte der Radiosendungen und gestaltete daraus ein Theaterstück. Die Rollen der offen zu Gewalt aufrufenden RTLM-Moderator*innen spielen Überlebende des Genozids. Das deutschsprachige Hörspiel "Hate Radio", in dem deutsche Radiomoderator*innen die Hauptrollen spielen, verstört durch seine Direktheit und zeigt die Notwendigkeit, Hetze und Hassrede in den Medien zu verhindern. In meiner Sendung verwende ich Ausschnitte aus dieser ORF/WDR Koproduktion aus dem Jahr 2013.
Die Erinnerung an den Tutsi-Genozid in Ruanda ist außerhalb Afrikas verblasst. Das Künstlerpaar Bele Marx und Gilles Mussard gestalteten zum 30. Jahrestag im April dieses Jahres am Wiener Yppenplatz eine virtuelle Gedenkstätte. Via QR-Code kann man diesen Raum betreten und hunderte Namen von ermordeten Tutsi lesen und hören. In Zukunft soll der virtuelle Raum überall auf der Welt aufrufbar sein.
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Copyright Bele Marx und Gilles Mussard |