Leiden Sie auch an Kreuzworträtsel-itis? Vor genau 100 Jahren waren davon Hunderttausende Amerikaner*innen befallen, die „Crosswordpuzzle-itis“ sorgte für Scheidungen, aber auch für einen erhöhten Wissensdurst der Menschen. Lexika wurde gekauft, Bibliotheken gestürmt – nur um die kleinen weißen Kästchen in den Zeitschriften zu befüllen, bis ein Lösungswort herauskam. Der Münchner Journalist und Autor Alexander Kluy hat sich auf eine vergnügliche Reise in die Geschichte des Kreuzworträtsels aufgemacht.
Das erste Kreuzworträtsel, so wie wir es heute noch kennen, erschien vor 111 Jahren. Gebastelt von Arthur Wynne, einem in die USA ausgewanderten Briten, verantwortlich für eine bunte Wochenendbeilage für die rund eine Million Abonnent*innen der Zeitung „New York World“. Im Dezember 1913 war noch Platz auf einer Seite. „Was könnte da hinpassen?“, fragte sich Wynne und entschied sich für ein Worträtsel. Und zwar für eine ganz neue Form.
Zitat: Denn er entwarf ein Raster. Fügte Zahlen ein, die sich auf Begleitfragen bezogen. Es hatte schließlich die Form eines Diamanten. Er überschrieb es „Word-Cross Puzzle“. Dieses Rätsel zerbrach Sprache in Blöcke, in einzelne Bestandteile, abstrahierte Sinn in einzelne Dimensionen, um deren Atome neu miteinander zu kombinieren. Es war beinahe Sprach-Kubismus.
Irgendwann verdrehten sich dann die Wortteile im Titel und aus dem Word-Cross wurde ein Cross-Word-Puzzle. Rund zehn Jahre führte das Kreuzworträtsel ein eher unauffälliges Leben, bis die Sekretärin Margaret Petherbridge sein Potenzial erkannte. Sie erhöhte die Komplexität des Rätsels. Margaret Petherbridge gehörte auch dem Team an, das 1924 den ersten Kreuzworträtsel-Sammelband herausbrachte. Da erfasste die Amerikaner*innen die Cross-word-puzzle-itis.
Zitat: Rechtsanwaltskanzleien erhielten zahllose Schreiben von „Crossword Widows“, Ehefrauen, die die Scheidung einreichten, weil ihre Gatten mit Haut und Haaren dem Kreuzworträtsel verfallen seien. Sie würden ihre Arbeit und noch den letzten Anhauch eines Ehelebens sausen lassen und nur noch rätseln, rätseln, rätseln.
Das spannende Gehirntraining, bei dem oft ums Eck gedacht werden muss, hat an Popularität bis heute nichts eingebüßt. Rätseln ist gesund und hält den Geist fit. Es ist gut für die Konzentration, macht Spaß, ist eine Herausforderung und gilt als Alzheimerprävention. Autor Alexander Kluy überrascht in diesem Buch mit überaus detailreichen und kurzweiligen Geschichten.
Wurden im Zweiten Weltkrieg militärische Geheimnisse ausgeplaudert? Und zwar als Lösungsworte in Kreuzworträtseln? Mehrere Beispiele lassen darauf schließen. Am 19. August 1942 starteten die Alliierten einen Angriff auf die französische Hafenstadt Dieppe. Das Unternehmen scheiterte. War es verraten worden? Der britische „Daily Telegraph“ hatte zwei Tage zuvor in einem Kreuzworträtsel nach einem „Hafen in Frankreich“ gefragt. Sechs Buchstaben: die Antwort lautete Dieppe. Der militärische Abwehrdienst MI5 untersuchte den Fall, fand aber keine Beweise. Zwei Jahre später begannen die Vorbereitungen für den D-Day in der Normandie.
Zitat: Dann erschein im „Telegraph“ im Februar 1944 ein Kreuzworträtsel, in dem das Losungswort „Juno“ aufschien, im März „Gold“ und vier Wochen später, im April, wurde nach „Sword“ gefragt. Als im nächsten Rätsel dann „One of Us“ aufzuschlüsseln war – und die korrekte Antwort „Utah“ lautete, schrillten beim MI5 sämtliche Alarmglocken.
Im Mai gab es dann noch das Lösungswort „Omaha“, alle fünf geheimen Landezonen für die Operation. Der Rätselmacher wurde verhaftet und verhört, man konnte ihm aber nichts beweisen. Zum Glück für ihn gelang die Operation, sonst wäre er wohl doch vor einem Militärgericht gelandet.
In weiteren Kapiteln beschäftigt sich der Autor mit dem Kreuzworträtsel in Literatur, Film und Musik – unglaublich, wo und in welchen Zusammenhängen uns Kreuzworträtsel in diesen Bereichen begegnen. Etwa in einer Folge der beliebten Zeichentrickserie „Die Simpsons“. Vater Homer vermasselt den Sieg seiner Tochter Lisa bei einem Rätselturnier. Darunter leidet das Vater-Tochter-Verhältnis.
Zitat: Um es wieder zu reparieren, heuert Homer Will Shortz und Merl Reagle an, die zwei wohl bekanntesten realen Rätselmacher der „New York Times“, lässt die beiden ein anspruchsvolles Kreuzworträtsel für Lisa konstruieren, in dem eine ausgereifte Entschuldigung eingebaut ist. Das Besondere ist nicht nur, dass Shortz wie andere Prominente vor und nach ihm, in der Zeichentrickserie einen gezeichneten Cameo-Auftritt hat. Sondern dass eben das Crossword, das man am Abend des 16. November 2008 abends am TV-Gerät sah, am Vormittag jenes Tags in der „New York Times“ abgedruckt war!
Heiter und abwechslungsreich nimmt Alexander Kluy seine Leser*innen mit in die Welt des Kreuzworträtsels. Sehr elegant übrigens die Verweise auf verwendete Literatur, nämlich anhand von kursiv geschriebenen kurzen Textteilen, die im Anhang verquickt mit der Seitenzahl zum richtigen Eintrag führen. Dazu kommen viele Illustrationen von Jorghi Poll, einige Fotografien, Abdrucke historischer Kreuzworträtsel (allerdings ohne Lösungen!) und als Zuckerl noch ein zweiseitiges Rätsel im Nachsatz. Achtung: „Crosswordpuzzle-itis“ ist ansteckend!
Info: Alexander Kluy „Das Kreuzworträtsel und seine Geschichte“, (edition atelier 2024)