Die Zukunft der Saudade. Poesie des Fado.


Radiokolleg Musikviertelstunde, 25. März 2014

Der Fado, die Nationalmusik der Portugiesen, ist im Alltag vieler Portugiesen ständig präsent, handeln doch auch die Texte vieler Lieder von alltäglichen Begebenheiten. Da geht es um die Straße, durch die der Liebste wandert, um Rosen, die im Vorgarten blühen, um das gastfreundliche und heimelige portugiesische Haus. Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts wurden vermehrt auch literarische Texte vertont und der Fado professionalisiert. Klassiker dienten genauso als Vorlagen wie Gedichte zeitgenössischer Schriftsteller. Manche Kritiker meinen, der Fado habe dadurch seine Intimität, seine Volksnähe verloren. Protestsongs waren Fados kaum, auch wenn immer wieder aktuelle Polemiken und kontroversielle Themen einflossen.

Oh salziges Meer, wieviel von deinem Salz
sind Tränen Portugals!
Wegen dir weinten Mütter,
und die Gebete der Kinder waren umsonst.
Wie viele Bräute blieben allein,
nur damit du uns gehörst, oh Meer!

Was der Fadosänger Helder Moutinho, übrigens ein Bruder des neuen Fado-Superstars Camané, singt, ist wohl eines der berühmtesten Gedichte Fernando Pessoas: "Mar português", das portugiesische Meer. Es ist Teil des Buches Mensagem, wurde 1934 veröffentlicht und erzählt von den großen Entdeckungsreisen der einst so mächtigen portugiesischen Seefahrer.

Viele Jahrzehnte war es undenkbar, dass Gedichte großer Poeten als Vorlage für einen Fado dienten. Im Fado ging es bis dahin um die großen Themen Liebe, Eifersucht, Abschied oder ganz banal um Alltagsszenen: Von den Rosen im Vorgarten über die Erlebnisse eines Malers bis hin zur Beschreibung der Pflastersteine der eigenen Gasse, über die der Geliebte bald wieder gehen würde. Es war Amália Rodrigues, die gemeinsam mit dem Komponisten Alain Oulman damit begann, Gedichte bekannter Schriftsteller zu bearbeiten, erzählt Rita Oliveira vom Fado-Museum in Lissabon:
"In der Geschichte des Fado sorgte sie tatsächlich für eine Art Revolution. Etwas, das den Fado wirklich stark geprägt hat. Wenn wir uns die Texte ansehen, war sie die Erste, die anspruchsvolle Gedichte verwendete, also Gedichte von Schriftstellern, die bereits etwas veröffentlicht hatten.  Also neben den Volksdichtern, die Fadotexte schrieben, war sie die Erste, die zum Beispiel José Regio oder Alexandre O´Neill oder Manuel Alegre sang. Auch Camões, über den damals viel polemisiert wurde. Sie sang ihn als Fado. Das ist wirklich eine extrem wichtige Entwicklung, weil sie damit eben die vornehme, sozusagen die edlere Poesie verwendete."
Auch wenn Amália als die Mutter aller Fadistas gilt, als Ikone dieser Musikrichtung, so ist ihre Rolle während der Diktatur nicht unumstritten: sie weinte am Grab des verstorbenen Diktators Salazar, gleichzeitig unterstützte sie aber die Kommunistische Partei finanziell. Für das Regime war sie die ideale Identifikationsfigur. Der Fado sollte das Nationalitätsgefühl der Portugiesen stärken. Paradigmatisch erscheint der Fado "Uma Casa portuguesa", "Ein portugiesisches Haus":

Schön ist es in einem portugiesischen Haus
Brot und Wein auf dem Tisch.
und wenn jemand an die Tür klopft,
lassen wir ihn ein und er setzt sich zu uns.
Es ist diese Ehrlichkeit,
trotz aller Armut sind sie reich.
Glücklich ist, wer anderen etwas geben kann.

Vier weiß getünchte Wände,
es duftet nach Rosmarin,
ein Korb voll glänzender Trauben,
und Rosen draußen im Garten.
Ein Heiliger Josef auf den Wandfliesen
und dazu die Frühlingssonne.
Ein Versprechen von Küssen
Zwei Arme, die auf mich warten.

Das ist ein portugiesisches Haus, das ist sicher!
Das ist sicherlich ein portugiesisches Haus!

Wirklich politisch war der Fado kaum, vielleicht am ehesten noch in den 1930er und 40er Jahren. Dann schlug allerdings die Zensur zu. Erst nach der Nelkenrevolution im Jahr 1974 entstanden einige wenige politische Texte, etwa im Fado "O Facho", die Fackel, von dem allerdings keine Aufnahme zu finden ist, die CD ist vergriffen.
Heute hat jeder Fadista Fados mit einfachen Texten genauso in seinem Repertoire wie solche mit anspruchsvollen - etwa mit jenen des Nationaldichters Luis Vaz de Camoes, dessen Hauptwerk das Epos "Os lusiadas", Die Lusiaden, aus dem Jahr 1572 ist. Daneben schrieb er zahllose Gedichte: eines davon, "Alma minha gentil", meine sanfte Seele:

Meine sanfte Seele,
so früh hast du dieses unglückliche Leben verlassen,
Ruhst auf ewig im Himmel,
Und ich lebe hier auf der Erde,
traurig für immer.

Wer Portugiesisch spricht hat klarerweise mehr vom Fado. Auch wenn die Musik zu Tränen rührt und der Sänger seine Gefühle virtuos zum Ausdruck bringt - der Text ist immer im Vordergrund. Viele Fados sind derart populär, dass das Publikum spontan mitsingt, jeder findet sich irgendwo wieder, wenn es um Glück und Unglück, Liebe und Verrat, Abschied und Sehnsucht geht.
Eine Fado-Sängerin, die sich sehr stark an modernen Schriftstellern orientiert, ist Mísia, geboren 1946 als Tochter einer spanischen Tänzerin und eines portugiesischen Ingenieurs. Sie verwendet andere Instrumente, wie zum Beispiel das Klavier, singt zeitgenössische Texte. Das Gedicht "Fado do Retorno", Fado der Rückkehr, ist von Lídia Jorge, einer der wichtigsten Schriftstellerinnen Portugals.

Liebster, es ist noch früh
und spät ist nur ein Wort.
Die Nacht ist eine Erinnerung,
die nichts verdunkelt.

Du bist zurückgekehrt, endlich.
Kommst herein wie immer,
verlangsamst deine Schritte
und bleibst an der Wand stehen.

Und die Kerze brennt
und das Feuer wärmt
Unsere Finger sind verschlungen
bewegt von all der Eile.

Vertont wurden in den letzten Jahren auch Texte von Sophia de Mello Breyner, António Lobo Antunes oder des Literaturnobelpreisträgers José Saramago. Heute sind es viele andere, die die Fadotexto schreiben: Der Schriftsteller Tiago Torres da Silva, die Fadosängerin Aldina Duarte und Pedro da Silva Martins. Letzterer ist Mitglied der Gruppe Deolinda, die zwar Popmusik macht, aber als Basis dennoch immer wieder Elemente des Fado verwendet. Der Musikjournalist Manuel Halpern hat sich mit der neuen Generation des Fado auseinander gesetzt und darüber ein Buch geschrieben:
"Diese Texte sind wichtig, gerade, wenn der Fadosänger jung ist. Beim Fado muss man das, was man singt, auch fühlen. Und wenn der Text schlecht ist oder wenn er nicht zum Sänger passt, etwa wenn es um etwas ganz Tragisches geht und man dem Sänger nicht glaubt, dass er das erlebt hat – dann funktioniert das nicht. Die Texte müssen gut sein und in die Zeit passen."
Ein aktuelles Beispiel ist ein Fado, den Pedro da Silva Martins für Ana Moura geschrieben hat. Es ist eigentlich ein Anti-Fado, sagt Manuel Halpern:
"Dieses Lied ist noch ziemlich neu, es heißt „Desfado“ und wurde speziell für Ana Moura geschrieben. Es geht darum, dass sie Fado singen will und es doch nicht kann. Das ist wirklich sehr interessant."
Ironisch werden die traditionellen Elemente dieser Musik verwendet und neu interpretiert. Die Sehnsucht, die saudade, das Hin-und-Her der Gefühle. Ana Moura, geboren 1979, ist inmitten von Fadistas aufgewachsen.

Ist es Schicksal, dass ich nicht ans Schicksal glaube,
Und es mein Schicksal ist, kein Schicksal zu haben?
Ich singe es gut, ohne es je gespürt zu haben, ich spürte es wie sonst keiner, aber das hat keinen Sinn.

Oh wie traurig ist meine Freude
Wie fröhlich ist diese große Trauer
Ich hoffe, eines Tages warte ich nicht mehr auf jemanden, der noch nie hier war und dennoch da ist.

Ich habe so Sehnsucht danach, Sehnsucht zu haben.
Sehnsucht nach jemandem, der hier ist und den es nicht gibt.
Will traurig sein, damit es mir gut geht.
Und fröhlich, nur um noch trauriger zu sein.




Musik zum Nachhören:
"Mar português" - gesungen von Helder Moutinho
"Uma Casa portuguesa" - gesungen von Amália Rodrigues
"Alma minha gentil" - gesungen von Gonçalo Salgueiro


"Fado do Retorno II" - gesungen von Mísia
"Desfado" - gesungen von Ana Moura