Salz Seen Land.

Bad Ischl ist heuer neben Bodø in Norwegen und Tartu in Estland europäische Kulturhauptstadt. Und das wird natürlich in der gesamten Region, dem Salzkammergut, gefeiert. Die Eröffnung des Veranstaltungsreigens, der sich über das ganze Jahr 2024 zieht, findet morgen und übermorgen in Bad Ischl statt. Pünktlich ist auch das offizielle Buch dazu erschienen, es heißt Salz Seen Land und gibt einen etwas anderen Einblick in die von Wasser, Bergen, Tradition und Tourismus geprägte Gegend. 

Das Salzkammergut von A bis Z. Das Inhaltsverzeichnis ist lexikalisch geordnet, die Beiträge bunt zusammengewürfelt. Politik reiht sich an Kultur, Geschichte schmiegt sich an Wirtschaft. Die Idee ist eine gute, nähern sich doch die AutorInnen ihren Themen von überaus spannenden Seiten, aus ungewohnten Blickwinkeln und um-die-Ecke-gedachten Ansätzen. Herausgeberin Julia Kospach schreibt in ihrer Einleitung zu den Titeln der Kapitel:

Zitat: Sie dienen als Stichworte zum Salzkammergut, die Alltägliches reflektieren, Historisches beleuchten und Hintergründiges vordergründig machen möchten – von Anarchie bis Enge, von Dirndl bis Lederhose, von See bis Schnee, von Habsburg bis Overtourism und vom queeren Fasching bis zur Ziehharmonika.

Und so geht es gleich los mit einem Essay über den – Buchstabe A – anarchischen Geist, den Eigensinn und die Widerständigkeit der Menschen, die im Salzkammergut leben. Wer sich hier niederlässt, der müsse sich erst einmal an die Direktheit der einheimischen Bevölkerung gewöhnen, an die „genussvoll-trotzig praktizierte Gesetzlosigkeit“, die im Salzkammergut offenbar „zur Normalität“ gehöre, so formuliert es der Autor René Freund. Gefolgt von einer spöttischen Karikatur - immer noch Buchstabe A, nämlich unter dem Titel Attersee – aus der Feder Gerhard Haderers, in der es um den Dialekt geht, eine hochdeutsche Übersetzung wird mitgeliefert. Und gleich wieder ein weiter thematischer Sprung, im dritten Kapitel spricht der Berg – Buchstabe B -, gemeint ist der Hallstätter Salzberg, dessen Besuch ein eindrückliches Erlebnis ist. Man müsse sich nur auf den Berg einlassen, meinen die ArchäologInnen Hans Reschreiter und Kerstin Kowarik:

Zitat: Der Berg gibt seine Geschichten in ungeheurer Detailgenauigkeit preis. Durch die konservierende Wirkung des Salzes ist alles, was Bergleute vor Jahrtausenden im Zuge ihrer Arbeit in den Stollen und riesigen Abbaukammern zurückgelassen haben, bis heute perfekt erhalten geblieben. Der Salzberg ist wie eine Zeitkapsel, in der die Zeit stillsteht. Es ist ein ganz besonderes Gefühl, inmitten eines solchen Ortes zu stehen und die völlig unveränderten Spuren rund um sich wahrzunehmen.

Die Fotografin Elfie Semotan hat die BürgermeisterInnen der 23 Kulturhauptstadtgemeinden abgelichtet, der Journalist Johannes Jetschgo erinnert an ein durch öffentliche Verkehrsmittel gut vernetztes Salzkammergut, etwa die kleine Eisenbahn, die einst zwischen Salzburg und Bad Ischl fuhr, und träumt von einer Wiederinbetriebnahme. Berührend der Beitrag der Schriftstellerin Mareike Fallwickl, einer kurzen Erzählung über das Patriarchat, die Alm und eine Frau namens Maridi.

Zitat: Die Maridi hat abgeschlossen mit der Sonne, die aufgeht und untergeht, mit dem Bacherl, das sprudelt, mit den Wanderern, die raufkommen wegen der Brettljause und der Auszeit vom Alltag. Wenn es viele Wanderer waren, hat der Gruber Hans gesagt: Tu weiter, Maria, du Gfrast, was stehst mir im Weg, und gelacht hat er. Dabei hat die Maridi viel schneller einen Kaiserschmarrn machen können als er, besser geschmeckt hat der auch.

In mehreren Kapiteln geht es um die – teilweise recht schlampige – Aufarbeitung der NS-Zeit in der Region, dazwischen lassen Gedichte und Fotografien schwärmen und schmunzeln. Freilich haben auch Brauchtum, Kitsch und Sisi-Kult in diesem Buch ihren Platz gefunden. Die Filmemacherin Bernadette Wegenstein beschäftigt sich mit dem Genre Heimatfilm, die Schriftstellerin Eva Menasse mit dem Erbe der Habsburger, der Liedermacher Hubert von Goisern hat den Kohler-Jodler beigesteuert, der via QR-Code angehört werden kann. Und die Autorin Angelika Hager macht sich so ihre Gedanken über die „Zug´reisten“ oder „Zweithäusler“ oder „Zweitheimischen“, zu denen sie sich 17 Sommer lang zählte, und die gern ihr regionales Identitätsbewusstsein zur Schau stellen, was von den Einheimischen milde belächelt wird.

Zitat: Der homo salzkammergutiensis findet, dass er in der regionalen Lotterie einen glatten Sechser gezogen hat, und wehe jenen, die sich anmaßen zu behaupten, nach nur drei Generationen von ortsansässigen Vorfahren zu den Einheimischen zu gehören. Dann ist mit mitleidigem Kopfschütteln und einem lapidaren „Aber no ned lang gnua do“ zu rechnen.

Lederhose, Leerstand und Versiegelung, eine Ode an die Narzisse und ein feministischer Comic über Kaiserin Elisabeth: Die 60 Kapitel sind aufschlussreich, nachdenklich, kritisch, kurzweilig und vergnüglich. Insgesamt ein äußerst gelungenes und schön gestaltetes Buch, das – gerade jetzt im Kulturhauptstadtjahr mit seinen zahllosen Veranstaltungen – Lust macht auf einen Besuch des Salzkammerguts.

Info: Julia Kospach, Elisabeth Schweeger (Hrsg.) Salz Seen Land. Das Salzkammergut von Anarchie bis Ziehharmonika, (Prestel 2024)