Cenzi Flendrovsky.

Im August 1893, also vor genau 130 Jahren, fand in Baden bei Wien das erste Damen-Radrennen statt. Die Radrennfahrerinnen sahen sich Vorurteilen und Häme eines Gutteils ihrer männlichen Kollegen und des Publikums gegenüber. Die Veranstaltung war hart erkämpft und ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu Frauenrechten, weiblicher Mitbestimmung und Gleichstellung. Wenige Jahre später, 1897, findet sich der Name der Wienerin Cenzi Flendrovsky in den Startlisten solcher Damen-Radrennen. Eine Graphic Novel erinnert an diese Radpionierin.

Es ist eine außergewöhnliche und auch tragische Geschichte, die Petra Sturm gemeinsam mit dem Illustrator Jorghi Poll erzählt. Auf Cenzi Flendrovsky aufmerksam geworden ist sie schon vor vielen Jahren bei einer anderen Recherche in den Zeitungsarchiven der österreichischen Nationalbibliothek. In einem Artikel in der Zeitschrift Draisena fand sie ein Foto von Cenzi Flendrovsky. Zu sehen ist eine junge Frau mit einer Leidenschaft: Radrennen fahren. In Pumphosen sitzt Cenzi auf ihrem Rennrad, schaut direkt in die Kamera. Was heutzutage glücklicherweise ganz normal ist, war um 1900 keineswegs üblich. 

Petra Sturm: Dass es eine Figur wie sie in jener Zeit gab, dass es diese Frauen gab, die gesagt haben „Ok, super, Frauen dürfen jetzt ein bissl Radfahren, sie dürfen im Prater ausfahren, aber ich will auch Rennen fahren, ich will mehr und ich trau mich das, auch wenn es nicht leicht ist.“ Und dass sie sich mit voller Leidenschaft in diesen Sport hineinbegibt und einfach ihren Traum eigentlich lebt.

Für Autorin Petra Sturm ist das Fahrrad das wichtigste Verkehrsmittel, und sie fährt immer mal wieder bei Radrennen mit. Auch deswegen war es ihr ein Anliegen, Cenzis bis dato unbekannte Geschichte zu erzählen.

Petra Sturm: Man könnte jetzt auch sagen, das hat ein bissl was mit metoo zu tun, oder mit der vermehrten Aufmerksamkeit für vergessene Frauen, die vergessenen, wiederentdeckten Malerinnen, Bildhauerinnen, Forscherinnen. Ich glaube das haben wir jetzt allgemein, das ist jetzt so ein Thema und man kommt drauf, ah, die hat es ja eigentlich immer gegeben, warum kennen wir sie nicht. Und man sucht Wege und Mittel, diese Frauen heute wieder bekannt zu machen und ihre Geschichten zu erzählen.

In Schwarz-Weiß mit einzelnen hellgelben Highlights hat Jorghi Poll Cenzis Geschichte illustriert. Es ist keine klassische Graphic novel mit Einzelbildern und Sprechblasen, die Illustrationen füllen meist eine Doppelseite aus, der Text findet sich in abgesetzten weiß unterlegten Kästen oder ist Teil der Illustration. So wie auf jener Doppelseite, auf der Cenzi mittels eines Megafons Anfeindungen gegen radfahrende Frauen wortwörtlich ins Gesicht geschleudert werden. 

Petra Sturm: Die Liste der Vorurteile gegen Frauenradfahren ist lang und böse, und je sportlicher die Frau unterwegs war, desto angefeindeter natürlich. Alos ja: Unschicklich, liederlich, Radfahren schädigt die Gebärmutter, fördert Onanie, es macht ein hässliches Gesicht – das sogenannte bicycle-face im Englischen – es macht einen Katzenbuckel. Ich glaube, die Liste ist wirklich sehr lang und es ging natürlich um den Frauenkörper.

Resolut, fast bockig, schaut Cenzi Flendrovsky auf diesem Bild aus, das Kleid hochgeschlossen, die Arme vor der Brust verschränkt, eine Haarsträhne fällt ihr in die Stirn, im nächsten Moment wird sie sie entrüstet wegpusten. Auf anderen Bildern ist die junge Frau verträumt in Radzeitschriften lesend oder konzentriert an einer Näharbeit sitzend abgebildet.

Petra Sturm: Das war sicher das Schwierigste, für Cenzi das passende Illu-Ich zu schaffen, und das war auch so eine gemeinsame Entwicklungsarbeit zwischen mir und Jorghi Poll, dem Illustrator. Ich glaube, da haben wir sehr viel diskutiert, wie sie aussehen soll, wie sie wirken soll. Also mir war zum Beispiel auch ganz wichtig, dass sie aktiv am Cover zu sehen ist, auf einem Rad sitzend, und dass sie frontal reinfährt. Weil das auch so etwas war und das ist bis heute so, Frauen werden bis heute eher in passiven Posen am Rad gezeigt und nicht in aktiven. Mir war es wichtig, sie aktiv zu zeigen und selbstbewusst.

So ganz nebenbei erfahren die Leserin und der Leser viel Interessantes aus der spannenden Zeit rund um die Jahrhundertwende, als die Stadt im Fahrradfieber lag. Was trugen die Damen bei ihren Ausflügen in den Prater? Und wie unterschied sich das von jener Kleidung, die Rennfahrerinnen trugen? In Radzeitschriften und Modejournalen waren Schnittmuster zu finden, um selbst sogenannte Bicycle-Kostüme zu nähen – das Korsett, Sinnbild der Unterdrückung der Frauenrechte – wurde durch elastische Mieder ersetzt.

Petra Sturm: Es fokussiert sehr stark auf diese drei Jahre ihrer aktiven Rennsportausübung, aber man sieht auch, wie sie da hin kommt oder was vielleicht ihr Umfeld war oder was sie liest, was gesellschaftspolitisch sich gerade tut, von was sie beeinflusst ist. Das Milieu ganz wichtig, ja, Cenzi war keine großbürgerliche Frau, deswegen war es für sie leichter möglich, den Radsport auszuüben, sie war weniger Konventionen ausgesetzt und konnte deswegen auch mehr wagen.

1896 tritt Cenzi Flendrovsky einem Fahrradclub bei, trainiert für Rennen im Winter-Velodrom in der Rotunde im Wiener Prater. Hier feiert sie 1897 erste Erfolge. Knappe drei Jahre dauert ihre sportliche Karriere, dann nimmt sie ein jähes Ende. Cenzi zieht sich bei einem Sturz auf der Wiener Ringstraße eine Verletzung zu, die nicht verheilt. Eine Amputation lehnt sie ab. Die Rennradpionierin Cenzi Flendrovsky stirbt am 2. Dezember 1900, mit nur 28 Jahren.

Info: Petra Sturm Cenzi Flendrovsky. Eine Bicycle Novel, Illustrationen von Jorghi Poll (Edition Atelier 2023)