55 kuriose Grenzen und 5 bescheuerte Nachbarn.

Wir sind stets von Grenzen umgeben. Grenzen, die unseren persönlichen Lebensbereich definieren. Grenzen, an denen sich Sprachen zu etwas Neuem vermischen. Grenzen, die seit Jahrhunderten ein Zankapfel der Herrschenden sind. Grenzen, die überwunden werden müssen, um von einem Land ins andere zu reisen. Der Standard-Journalist Fabian Sommavilla hat für sein Buch mit dem Titel „55 kuriose Grenzen und 5 bescheuerte Nachbarn“ zahlreiche erstaunliche Geschichten gesammelt.

Wer dieses Buch direkt beim Verlag bestellt, wird positiv überrascht: Denn es kommt per Post komplett plastikfrei, stoßfest eingeschlagen in Karton und Papier. Das gibt schon einmal Extrapunkte. Wenn man das Buch aufschlägt, kommt man aus dem Schwärmen kaum heraus: denn die mehrfarbigen Grafiken, gestaltet von Iris Ott und Tim Ehlers vom Katapult-Verlag, sind alleine schon ein Grund, dieses Buch zu kaufen. Schlicht und prägnant illustrieren sie jeden der kurzen Texte. Und für diese Texte hat Autor Fabian Sommavilla allerlei Spannendes aus aller Welt zusammengetragen.

Zitat: Grenzen haben sich stets verschoben und gewandelt, sind aufgetaucht und wieder verschwunden. Vor allem aber waren die Trennlinien auf den Karten immer nur vage Momentaufnahmen. Sie waren das, was Herrschende zu beherrschen glaubten oder kontrollieren wollten. Zu jeder Karte existierte meist eine andere, die zumindest Teile des Gebiets jemand anderem zuschrieb.

Aus der Fülle an Grenz-Geschichten seien hier zwei ausgewählt, die eine besonders kurios, die andere mit aktuellem Bezug. Zunächst geht es um die Fasaneninsel, 220 Meter lang, 40 Meter breit. Sie liegt im Grenzfluss Bidasoa zwischen Spanien und Frankreich und hatte ihren großen Auftritt vor rund 350 Jahren. 

Zitat: Als die beiden Widersacher nach dem 24 Jahre währenden Französisch-Spanischen Krieg ihre gemeinsame Grenze festlegten, wählten sie die Fasaneninsel als neutralen Ort, um nach einem dreimonatigen Sitzungsmarathon den Pyrenäenvertrag zu unterzeichnen. Für den Fall, dass die Friedensverhandlungen scheitern, standen die Heere auf beiden Seiten an den extra angelegten Holzbrücken gefechtsbereit.

Doch keine Sorge, es wurde nicht mehr gekämpft, ganz im Gegenteil, es wurde gefeiert.

Zitat: Weil die Könige beim Schwingen des Tanzbeins trotz des Friedens keinesfalls die imaginäre Grenzlinie überschreiten durften, wurde sie mit verschiedenfarbigen Teppichen kenntlich gemacht.

Seit damals wird die kleine unbewohnte Insel jeweils ein halbes Jahr von Frankreich verwaltet, das andere halbe Jahr von Spanien. Ein anderes Beispiel ist die komplizierte Grenz-Situation in Israel. Autor Fabian Sommavilla beschreibt die Situation in der Stadt Hebron, wo die Besitzverhältnisse immer wieder zu militärischen Konflikten führen.

Zitat: Dabei leiten sich sowohl der hebräische als auch der arabische Name Hebrons vom Wort „Freund“ ab. Dieser Bedeutung wird die Stadt aber schon lange nicht mehr gerecht.

Hebron ist für das Judentum genauso wichtig wie für den Islam und das Christentum, sollen doch hier zahlreiche für die Religionen bedeutsame Personen in der sogenannten Machpela begraben sein. Die Pilgerstätte liegt allerdings seit dem Ende des Sechstagekrieges im Jahr 1967 im von Israel kontrollierten Teil der Stadt. 

Zitat: Mehr als 700 Jahre hatte unter muslimischer Herrschaft kein Jude und keine Jüdin die Machpela betreten dürfen. Plötzlich beteten sie dort wieder. Bereits ein Jahr später begannen jüdische Siedlerinnen und Siedler, Teile der Altstadt für sich zu reklamieren und ein Hotel zu besetzen.

Heute leben in der Zone rund um die Machpela rund 30.000 Palästinenser und einige Hundert Israelis. Dennoch gleicht der Zugang für die Palästinenser einem Spießrutenlauf: Checkpoints, Stacheldraht, Straßen, die von palästinensischen Autos nicht befahren werden dürfen. Eigentümlich ist auch dieses Detail:

Zitat: Aus dem nur 30 Kilometer entfernten Jerusalem bieten Reisebüros mehrmals wöchentlich die sogenannte Dual-Narrative-Tour an. Ein jüdischer Siedler weist der Reisegruppe dabei mittags den Weg durch den Checkpoint, damit sie […] auch die Sicht des palästinensischen Aktivisten zu hören bekommt. Besucherinnen und Besucher bleiben zurück mit zwei Versionen einer gemeinsamen Geschichte.

Ob diese Grenz-Geschichte jemals ein gutes Ende nimmt? Schwer vorstellbar. Prinzipiell sagen Grenzen – egal ob es sich um Staatsgrenzen, Stadtmauern oder Gartenzäune handelt – viel über die menschliche Natur aus. Über absurde Willkür und Machterhalt. Fabian Sommavillas Buch ist kurzweilig und informativ, wirkt nie belehrend. Der Autor verpackt seine gründlich recherchierten Informationen in leicht verständliche Texte, ist manchmal sehr direkt in seiner Wortwahl, betrachtet vieles aber auch mit einem Augenzwinkern. Fazit dieses empfehlenswerten Buches: Die meisten Trennlinien sind menschengemacht, viele sind vollkommen absurd und von einer Welt ohne Grenzen sind wir noch immer weit entfernt.

Info: Fabian Sommavilla „55 kuriose Grenzen und 5 bescheuerte Nachbarn“ (Katapult 2021)