Das weibliche Kapital.

Frauen verdienen immer noch weniger als Männer, Frauen haben weniger Chancen auf Führungspositionen, Frauen stemmen immer noch den Großteil der häuslichen Arbeit. In ihrem aktuellen Buch Das weibliche Kapital stellt die Autorin Linda Scott die These auf, dass, würde es zwischen Frauen und Männern eine tatsächliche Gleichstellung geben, wäre das die Grundlage für Wohlstand, zahlreiche Weltprobleme wie Hunger oder Überbevölkerung gelöst werden könnten. Scott ist emeritierte Professorin der Universität Oxford und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Frage, welche Rolle Frauen in der Wirtschaft spielen.

„Frauen sind die größte Unterschicht der Welt“, sagt Linda Scott in einem Zeitungsinterview, denn Frauen zahlen zwar einen Großteil der weltweiten Steuern, haben aber in vielen Bereichen noch immer nicht die gleichen Rechte wie Männer.

Zitat: Die weibliche Bevölkerung aller Länder ist durch ein besonderes Muster ökonomischer Benachteiligung geprägt, und diese Benachteiligung wird überall mit den strukturell gleichen Mechanismen aufrechterhalten. Die eingeschränkte wirtschaftliche Inklusion von Frauen geht allerorten über Arbeit und Lohn hinaus und umfasst auch Besitztümer, Kapital, Kredite und Märkte.

Dabei wäre es so einfach, meint die Autorin, durch Gleichstellung von Frauen zahlreiche globale Probleme aus dem Weg zu räumen.

Zitat: Entschiede sich die Weltgemeinschaft, die wirtschaftlichen Hindernisse für Frauen abzubauen, könnten wir in eine nie dagewesene Ära des Friedens und Wohlstands eintreten.

Linda Scott erforscht bereits seit 30 Jahren die Stellung von Frauen in der Wirtschaft. In zahlreichen Projekten rund um die Welt hat sie sich die Situation angesehen, viele dieser persönlichen Fallstudien – oft aus afrikanischen Ländern – fließen in den vorliegenden Text ein. Die Autorin nennt die weltweite kollektive Wirtschaftskraft der Frauen in Anspielung auf die zwei X-Chromosomen der Frau, die XX-Ökonomie oder auch Doppel X Ökonomie. Das erste Kapitel im Buch ist daher auch diesem Begriff gewidmet und hat somit die Funktion eines Vorwortes.

Zitat: Die Zahlen zeigen, dass die XX-Ökonomie riesig ist und nur übersehen werden kann, wenn die Fachleute entschlossen wegschauen. Um es anschaulicher zu machen: Wäre die XX-Ökonomie der Vereinigten Staaten eine eigene Volkswirtschaft, wäre sie groß genug, um den G7 beizutreten.

Auf 360 Seiten und in 14 Kapiteln arbeitet Linda Scott die wichtigsten Themenbereiche ab, in denen sich die Ungleichbehandlung von Frauen besonders zeigt. Da geht es um Big Data genauso wie um die Frage „Geld oder Liebe?“, den noch lange nicht besiegten Chauvinismus, die vielen Ausreden, die Männer haben, um Frauen nicht beschäftigen zu müssen, oder auch die Flucht aus der Küche. Im letztgenannten Kapitel spannt die Autorin einen Bogen von Feldforschungen in Bangladesch über die historische Entwicklung der Frauenbewegung bis hin zu aktuellen Tendenzen.

Zitat: Die Stigmatisierung von Müttern am Arbeitsplatz ist heute völlig normal, und es ist allgemein üblich, ihnen weniger als jeder anderen Gruppe von Beschäftigten zu bezahlen. Antifeministen sind der Meinung, diese Gehaltslücke spiegele die „falschen Entscheidungen“ der Mütter wider, nämlich Kinder zu haben, aber weiter berufstätig zu sein.

Auch wenn Europa ein bisschen anders ist als die USA – woher Linda Scott ja stammt -, so gibt es auch hierzulande noch genügend Baustellen in Sachen Gleichstellung: Teilzeitarbeit, die Doppelbelastung durch Beruf und Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen, Beschäftigung im Niedriglohnsektor. Dieses Buch ist Linda Scotts Lebenswerk, all ihr Engagement und Herzblut sind in diesen Text geflossen. Es ist ehrlich und unaufgeregt, leicht verständlich – wenn auch hin und wieder etwas langatmig – und es lässt uns immer wieder empört den Kopf schütteln, um uns im nächsten Moment intensiv mit dem gerade Gelesenen auseinanderzusetzen. Zu Beginn des Buches wendet sich die Autorin daher auch direkt an ihre Leserinnen und Leser.

Zitat: Ich rufe euch auf, euch dieser Bewegung anzuschließen, unabhängig von sexueller Orientierung, Nationalität oder Herkunft. Unabhängig davon, ob ihr in einer Fabrik, einem Büro, auf einem Bauernhof, zu Hause oder online arbeitet. Jedes Mal, wenn ich in diesem Buch schreibe, „wir sollten dieses tun“ oder „wir können jenes daraus schließen“, meine ich uns alle.

Dieses Buch ist hochaktuell, steht doch in den USA eine wegweisende Präsidentschaftswahl kurz bevor und drohen rechts-populistische Machthaber in vielen Staaten die hart erkämpften Frauenrechte wieder zu beschneiden. Aber auch die Corona-Krise sorgt aufgrund von Schulschließungen und anderen Maßnahmen für Nachteile von Frauen am Arbeitsmarkt. Dieses Manifest spricht vielen Frauen aus der Seele und wird hoffentlich von vielen Männern gelesen.

Info: Das weibliche Kapital von Linda Scott, aus dem Englischen von Stephanie Singh (Hanser München 2020)