Heiliger Zorn.

Die Antike. Lange her und kaum etwas übrig. Wir kennen die Zeit der Alten Römer und Griechen aus Ausgrabungen, Historienfilmen und Asterix-Heften. Eine Zeit der Hochkulturen, der großen Denker, der beeindruckenden Tempel und Paläste. Eine Epoche, die schließlich unterging und ins dunkle Mittelalter führte. Doch die britische Historikerin und Journalistin Catherine Nixey erzählt noch viel mehr über diese Zeit. Denn sie belegt schlüssig, wie sehr das aufkommende Christentum dafür verantwortlich war, dass von der Antike vor allem Ruinen und zertrümmerte Statuen übrig geblieben sind. Ihr 2018 unter dem Titel The Christian Destruction oft he Classical World veröffentlichter Erstling hat in Großbritannien
und den USA für heftige Debatten gesorgt. Nun liegt es unter dem Titel Heiliger Zorn: Wie die frühen Christen die Antike zerstörten auch auf Deutsch vor.

Catherine Nixey ist die Tochter eines ehemaligen Mönches und einer ehemaligen Nonne. Geboren in Wales, studierte sie Geschichte an der Universität von Cambridge. In der Familie waren Religiosität und Christentum stete Begleiter: Tischgebete, Gottesdienste, Gespräche über den Glauben. Die frommen Eltern sahen die Kirche als Heilsbringerin, als Bewahrerin des Wissens.

Zitat: In gewisser Weise hatten meine Eltern damit durchaus recht: die Klöster haben umfangreiches klassisches Wissen bewahrt. Aber das ist längst nicht die ganze Wahrheit. Im Grunde lenkt sie sogar von dem ab, was vorher geschehen war und was die Kirche in ein weit weniger glorreiches Licht rückt – schließlich war es die Kirche gewesen, die die antike Kultur vernichtet hatte, bevor sie Anstalten machte, sie zu bewahren.

Über die positiven Beiträge des Christentums in der Menschheitsgeschichte gebe es bereits genügend Publikationen, meint die Autorin, und begibt sich daher auf eine Reise in die Antike. Eine Reise, die eigentlich als tatsächliche Fahrt in die betreffenden Gegenden geplant war, nach Palmyra etwa, wo der Tempel der Athene um das Jahr 385 nach Christus von fanatischen Christen – damals Zeloten genannt – zerstört worden war.

Zitat: Als die Männer den Tempel betraten, nahmen sie eine Stange und zertrümmerten Athenes Hinterkopf mit einem einzigen Schlag – einem Schlag, der mit solcher Kraft ausgeübt wurde, dass er die Göttin enthauptete. Ihr Kopf fiel zu Boden, die Nase brach ab, die so sanft wirkenden Wangen waren zerschmettert. Nur die Augen Athenes blieben intakt und blickten die Angreifer aus einem furchtbar entstellten Gesicht heraus an.

Die politische Lage, die Gewaltherrschaft des IS, machten eine tatsächliche Reise für die Autorin unmöglich, das Buch besucht dennoch die antiken Schauplätze mit Stationen im heutigen Ägypten, in Rom, im Norden der Türkei, in Griechenland. Und es lässt uns in die längst vergangene Welt der Antike eintauchen, macht Geräusche hörbar, Gerüche und Geschmäcker fühlbar. Etwa bei einem Spaziergang durch das sündhafte Rom, wo Wollust, Völlerei und Habgier herrschten.

Zitat: Die Frauen trugen juwelenbesetzte Sandalen und teure Seidenkleider aus derart dünnem Stoff, dass man jede Rundung ihres Körpers sah. Hatten sich die römischen Adligen früher damit gebrüstet, sich durch Bäder im eiskalten Strom des Tiber abzuhärten, zog diese verweichlichte Generation barock dekorierte Badehäuser vor, in die sie zahllose silberne Fläschchen mit Öl und Salben mitschleppte.

Ein Sündenpfuhl sondergleichen, so dachten die Christen, dem ein Ende gesetzt werden musste. Scharf analysiert die Autorin die Verbrechen, die folgten. Berichtet, mit welcher Wucht gegen die Anbetung der Götter vorgegangen wurde, von der noch heute jene Statuen erzählen, denen Gliedmaßen abgehackt und christliche Kreuze in die steinerne Stirn gekratzt wurden. Wer sich nicht an die Regeln hielt, wurde verfolgt. Philosophen durften nicht mehr lehren, viele gestanden unter quälender Folter die Namen anderer Denker, nicht wenige gingen ins Exil. Texte wurden zerstört oder überschrieben. Einschüchterung, Terror, Hinrichtungen. Tausende fanden den Tod. Die Christenverfolgungen im Römischen Reich waren nichts im Vergleich zu dem, was Christen schließlich Andersgläubigen antaten, schreibt Catherine Nixey. Und weiter:

Zitat: Wem dies nicht plausibel erscheint, der sollte bedenken: Heute gibt es über zwei Milliarden Christen auf der Welt und keinen einzigen Anhänger der altrömischen Religion mehr.

Manches mag weit hergeholt klingen, doch die Autorin belegt ihre Thesen stets mit historischen Schriftstücken, die – und auch das zeigt dieses Buch auf beeindruckende Weise – nicht nur als historische, sondern vor allem als gesellschaftspolitische Quellen funktionieren. Das frühe Christentum aus einem anderen Blickwinkel betrachtet: Fanatische Männer und Frauen, die im Namen der Religion Verbrechen begehen. Und deren Taten später von den Erzählungen über Märtyrer und fromme Mönche überlagert wurden. Catherine Nixey legt mit ihrem Erstling ein dichtes, fesselndes und anspruchsvolles Buch vor, das unsere Sichtweise verändert und neue Denkanstöße gibt, um ein über die Jahrhunderte gefestigtes Narrativ zu durchbrechen.

Info: Catherine Nixey: Heiliger Zorn: Wie die frühen Christen die Antike zerstörten (aus dem Englischen von Cornelius Hartz, Deutsche Verlags-Anstalt, 2019)