Planet und Mensch.

Es wird immer enger auf unserer Erde. In den nächsten fünfzig Jahren wird die Weltbevölkerung die gigantische Zahl von zehn Milliarden Menschen erreichen. Die Besiedelung unseres Planeten hat vielfältige Ausprägungen und hängt von zahlreichen Faktoren ab: Fluchtbewegungen, Hunger, Geburtenkontrolle, Lebenserwartung, Umweltverschmutzung. Massimo Livi Bacci, der italienische Altmeister der demografischen Forschung - also der Wissenschaft von der Bevölkerungsentwicklung - hat sich all diese Aspekte angesehen und in einem Buch zusammengefasst: Planet und Mensch. Bevölkerungswachstum im 21. Jahrhundert so lautet der schlichte Titel.

Wie leicht ist es heutzutage von Europa nach Japan oder Hawaii oder Feuerland zu reisen. In wenigen Stunden überqueren wir Zeitzonen, Kontinente und Ozeane. Die sozialen Medien verbinden Menschen aus allen Erdteilen, Informationen und Nachrichten verbreiten sich in Windeseile. Fast hat man das Gefühl, die Welt sei kleiner geworden.

Zitat: Die Weltumsegelungsexpedition unter Magellan und Elcano startete am 10. August 1518 in Sevilla, wo die Schiffe am 8. September 1522 wieder eintrafen, nach 1125 Reisetagen. Heute braucht ein Überschallflugzeug einen einzigen Tag, um die Welt zu umkreisen. Das ist tausendmal so schnell.

Die Welt ist ein Dorf - und dieses Dorf droht aus allen Nähten zu platzen. In den Städten drängen sich die Menschen - im Großraum Tokio leben fast 40 Millionen Menschen, im brasilianischen Sao Paulo sind es 22 Millionen und auch der Großraum Wien hat bereits mehr als 2 Millionen Einwohner. Das war nicht immer so. Denn lange Zeit wuchs die Weltbevölkerung in recht bescheidenem Maße, die Kindersterblichkeit war hoch, die Lebenserwartung niedrig.

Zitat: Die äußerst bescheidenen Wachstumsraten, die bezogen auf Zeiträume von Jahrtausenden berechnet wurden, geben zusammenfassend eine demografische Entwicklung wieder, die nicht in gleichförmigen Schritten, sondern mit Schwankungen, in Zyklen, mit Höhen und Tiefen, Wachstum oder Schrumpfung verlief. Aber sie drücken eine Grundtendenz des Bevölkerungswachstums aus, das über lange Zeiträume hinweg ziemlich dürftig ausfiel.

Das ändert sich in eindrucksvoller Weise ab 1900. Innerhalb weniger Jahrzehnte schnellt die Bevölkerungszahl in die Höhe. Waren es 1927 noch 2 Milliarden Menschen, die auf der Erde lebten, sind es im Jahr 1974 bereits doppelt so viele.

Zitat: Das Tempo, in dem sich das demografische Wachstum in den Jahrtausenden nach Entstehung der Landwirtschaft vollzog, unterscheidet sich von den Zuwachsraten in den 1960er Jahren wie die Geschwindigkeit eines Ochsenkarrens von der eines Düsenjets.

Woran lag das, welche Umstände waren dafür verantwortlich? Massimo Livi Bacci listet zahlreiche Faktoren auf, stellt Überlegungen an, wiegt ab, vergleicht, kommentiert. Etwas zahlenlastig ist das Ganze - Tabellen und Statistiken illustrieren die Entwicklung - aber dennoch nicht langweilig. Denn immer wieder wird der Autor sehr konkret. Etwa wenn es um den Zusammenhang zwischen steigenden Bevölkerungszahlen und dem Umgang mit der Umwelt geht: die steigende Urbanisierung, der Ausbau der Infrastruktur, der Raubbau an der Natur mit all ihren negativen Folgen.

Zitat: Erstens dringt die Menschheit immer tiefer in die ausgedehnten Waldgebiete vor, insbesondere in Regenwälder, die für die Wasserkreisläufe, die Artenvielfalt und den Erhalt des Klimas unverzichtbar sind. Zweitens verdichtet sich die Besiedlung in gefährdeten Zonen, insbesondere entlang der Küsten, Flüsse und Seeufer. Und drittens weitet sich die Urbanisierung explosionsartig aus.
Wichtiges Thema ist auch die Mobilität, die Bewegungsfreiheit: Tourismus auf der einen Seite, Flucht und Migration auf der anderen.
Zitat: Die demografischen und wirtschaftlichen Triebkräfte der Migration sind stark und werden es auf Dauer bleiben. Die wohlhabenderen Länder haben sich abgeschottet und ihre Grenzen verstärkt. Auf dem Meer oder auf dem Land spielen sich unvermindert Flüchtlingstragödien ab, und die internationale Gemeinschaft scheint unfähig, ihnen ein Ende zu setzen.

Geburtenkontrolle, Lebenserwartung, Kindersterblichkeit, Hunger, Krieg, Industrialisierung, Globalisierung, Nachhaltigkeit - das demografische System muss sich ständig anpassen und regulieren. Der Autor bedient sich in seinem gelungenen Buch einer schlichten, neutralen Sprache, macht schwierige Gedankengänge durch Vergleiche allgemein verständlich. Dass er mehrfach Italien als Beispiel für die eine oder andere Entwicklung heranzieht, ist seiner Herkunft und seinen zahlreichen Studien über sein Heimatland geschuldet - und durchaus legitim, lassen sich diese Erkenntnisse doch leicht auch auf andere Regionen übertragen.

Zitat: Fassen wir zusammen: In den kommenden 35 Jahren wird die Weltbevölkerung um fast ein Drittel weiter anwachsen, aber in regional ganz unterschiedlichem Maße: In den reichen Ländern bleibt sie konstant, während sie in den Schwellenländern um ein Viertel zunimmt und sich in den Entwicklungsländern verdoppelt.

In Zahlen heißt das: in rund 50 Jahren werden 10 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Der Autor wirft vor allem im Schlusskapitel viele Fragen auf, definiert die großen Probleme, die auf uns zukommen werden. Doch Massimo Livi Bacci maßt sich nicht an, eine Lösung für diese Probleme anbieten zu können. Sie bieten Stoff für Pessimisten, die auf Rivalität und weitere Abschottung verweisen, aber auch für Optimisten, die hoffen, dass die Menschheit nicht nur örtlich, sondern auch menschlich zusammenrückt. Dieser Gedanke gefällt dem Autor. Und diesem Gedanken möchte man sich nach der Lektüre dieses Buches recht gerne anschließen.

Info: Massimo Livi Bacci: Planet und Mensch. Bevölkerungswachstum im 21. Jahrhundert (aus dem Italienischen von Enrico Heinemann, Verlag Klaus Wagenbach 2017)