Der Tiger in der guten Stube.

Heute schon ein Katzenvideo angeklickt? Oder vielleicht selbst ein Katzenbild verschickt? Die schnurrenden Stubentiger haben nach den Wohnzimmern auch das Internet im Sturm erobert. Eine schnelle Recherche auf der Video-Plattform Youtube zeigt, dass es Katzenvideos gibt, die bisher 54 Millionen Mal angeklickt wurden. Unglaublich eigentlich. Cat-Content sells. Aber wieso Katzen? Wie haben es diese Tiere geschafft, sich den Menschen Untertan zu machen? Die US-amerikanische Autorin Abigail Tucker hat sich das auch gefragt, und sie hat sich auf die Suche begeben. Ergebnis ist eine Kulturgeschichte der Katze mit dem Titel Der Tiger in der guten Stube.

Abigail Tucker ist katzennärrisch. Und Abigail Tucker ist nicht die einzige, die den schnurrenden Stubentigern verfallen ist. In Österreichs Haushalten leben ungefähr eineinhalb Millionen Hauskatzen. Sie begleiten ihre Menschen durchschnittlich zwölf bis 14 Jahre lang. Und sie sind allgegenwärtig.

Zitat: Für den Moment genügt es festzuhalten, dass es Hauskatzen dank einer Kombination aus langfristig entwickeltem Verhalten und von Natur aus gutem Aussehen gelungen ist, eine gewisse subtile Kontrolle über uns auszuüben. Wir wurden ebenso sehr ihre Geschöpfe wie sie die unseren.

Katzen sind im Gegensatz zu Hunden keine große Hilfe, sie können keine Blinden führen, Ertrinkende retten oder Rauschgift erschnuppern. Mit Hunden muss man täglich raus und sorgt so auch für die eigene körperliche Fitness und soziale Kontakte. Katzen lassen sich zu kaum etwas erziehen und wann sie gestreichelt werden, das entscheiden sie selbst. Und nur sie.

Zitat: Hauskatzen sind mit einer todsicheren Waffe ausgestattet, die der österreichische Verhaltensforscher Konrad Lorenz als „Kindchenschema“ bezeichnet: Körperliche Merkmale, die uns an Menschenjunge erinnern und eine Hormonkaskade auslösen. Zu diesen Merkmalen gehören ein rundes Gesicht, Pausbacken, eine hohe Stirn, große Augen und eine kleine Nase.

Doch - abgesehen von ihrem herzigen Aussehen, ihrem weichen Fell, ihrem eigenwillig-schnurrigen Wesen -  wer sind diese Tiere überhaupt, wo kommen sie her und was haben sie im Sinn? Wann wurde die Wildkatze zur Hauskatze und warum? In neun Kapiteln taucht die Autorin in die Evolutionsgeschichte der Katzen ein, sucht in New Yorker Hinterhöfen genauso nach Spuren wie in türkischen Dörfern, befragt Forscher und Experten was es mit der globalen Dominanz der Katzen auf sich hat. Sie spricht mit Biologen, Historikern, trifft Vertreter der Katzenlobby genauso wie Vogelschützer, also ganz klaren Katzengegnern. Und sie beschäftigt sich freilich auch mit den zutiefst eigenartigen Ausprägungen der allgegenwärtigen Katzenliebe. Vom Katzencafé bis zum Altersruhesitz der Spitzenklasse.

Zitat: Für die bemerkenswert humane Summe von 460 Dollar im Monat - oder für eine deutlich größere Summe, wenn der Halter bereit ist, einen Scheck für eine lebenslange Pflege auszustellen - steht einem Sunshine-Home-Bewohner ein privater Raum zur Verfügung, der es mit vielen Manhattaner Einzimmerwohnungen aufnehmen kann; die Decken sind hoch, und das Panoramafenster bietet Aussicht auf Beutetiere aller Art.

Katzenausstellungen, Katzenzucht, Katzenkrankheiten. Es gibt kaum ein Thema, das Abigail Tucker in ihrem Buch nicht unter die Lupe nimmt. Flüssig geschrieben, leicht verständlich, aber doch mit einer ganzen Reihe Anmerkungen und Quellenangaben. Das letzte Kapitel des Buches ist dem Phänomen des Cat-Content im Internet gewidmet. Mit scheinbar ausdruckslosen Gesichtern jagen die Tiere ihrem eigenen Schatten nach und fallen dabei in den Spalt zwischen Wand und Sofa. Oder sitzen stoisch auf Staubsaugerrobotern. Oder schlafen an den unmöglichsten Orten und in den unglaublichsten Körperhaltungen. Tausende Videos kursieren und sorgen für Heiterkeit.

Zitat: Online ist die Unergründlichkeit der Katzen ein Riesenvorteil. Katzengesichter sind leere Leinwände, die Menschen als hypersoziale Wesen geradezu zwanghaft mit Inhalt füllen wollen. Sie schreien geradezu nach Beschriftungen.
Die Stars unter den Internet-Katzen heißen Grumpy Cat oder Lil Bub. Der Rummel um diese Tiere ist grenzenlos.
Zitat: Mittlerweile ist wohl jedem klar, dass unsere Kultur - on- wie offline - in einem Katzenwahn gefangen ist. Prominente Hauskatzen unterzeichnen Filmverträge, spenden für wohltätige Zwecke und zählen Hollywood-Sternchen zu ihren Twitter-Followern. Ihre Duplikate aus Plüsch bevölkern die Regale großer Kaufhausketten; sie bewerben ihre eigenen Modelinien und Eiskaffeesorten; Bilder von ihnen überschwemmen das Internet.

Abigail Tucker erzählt immer wieder aus ihrem Leben und von ihren Katzen, etwa dem hellorangen Riesenkater Cheetoh. In vielen Details werden sich Katzenbesitzerinnen oder Katzenfreunde wiederfinden. Die Interpretationen der Autorin schießen aber doch manchmal über das Ziel hinaus. Schade, denn im Großen und Ganzen ist dieses Buch wissenschaftlich fundiert und einwandfrei recherchiert.
Zitat: Vielleicht haben Katzen im Lauf der Jahrtausende so viele Menschen erbeutet und auch auf andere Weise Vorteil aus der Menschheit gezogen, weil sie die übernatürliche Macht haben, uns zu bezaubern.
Manch holprige Stelle ist aber sicherlich auch der Übersetzung geschuldet, denn in zahlreichen englischsprachigen Kritiken wird der Autorin ein großes Maß an Sprachwitz beschieden, der aber in der deutschen Übersetzung vermisst man diesen jedoch schmerzlich. Nicht wirklich geglückt sind auch die Katzen-Illustrationen, die das Buch durchziehen. Vor allem die ewig wiederkehrenden und doch recht kindischen Katzenpfotenabdrücke stören die Lesbarkeit und nehmen dem Buch einiges an Professionalität und Ernsthaftigkeit, die es im Text sehr wohl zu vermitteln vermag.

Info: Abigail Tucker: Der Tiger in der guten Stube (aus dem Englischen von Martina Wiese, Jorunn Wissmann und Monika Niehaus, Theiss 2017)