Neue Medien - Neue Sprache?


Dimensionen, 23. Juli 201 

Peter Schlobinski: "Die Kommunikationsformen erfordern im Prinzip Abweichungen von der Norm, in der wir üblicherweise schreiben. Wenn Sie ein kleines Display haben, wenn Sie nur 140 Zeichen zur Verfügung haben, dann werden Sie sich sprachökonomisch verhalten, das heißt, Sie werden Abkürzungen gebrauchen und öfter Teile im Satz weglassen. Wenn Sie, wie beim Chatten, relativ synchron kommunizieren und das, was Ihnen durch den Kopf geht, umsetzen wollen, dann ist natürlich der Einfluss der gesprochenen Sprache da.

Sprachverfall oder kreatives Experimentierfeld?

Matthias Karmasin: "Ich würde Gelassenheit empfehlen, Gelassenheit im Sinne von `Kommunikation dient der Verständigung´. Und wenn Verständigung gelingt, gelingt Kommunikation. Der Maßstab, den ich anlege, ist nicht unbedingt ein semantischer, ein sprachästhetischer, der sagt `die Form muss stimmen´. Ich habe halt, vielleicht ist das meine deformation professionelle, starke Präferenzen für die Inhalte.

Twitter, SMS, E-Mail oder Facebook - die neuen Medien und sozialen Netzwerke sind schnell und direkt, es bleibt nicht viel Zeit zum Ausformulieren. Unsere Sprache verändert sich radikal. Es sind vor allem Jugendliche, die scheinbar nur noch mittels reduzierter Wortsplitter kommunizieren. Sie verwenden Emoticons wie Smileys, Aktionswörter wie "grins" oder "seufz", Akronyme wie HDL für "hab dich lieb", oder auch LOL, was so viel heißt wie "laughing out loud" oder als Steigerung ROFL, "rolling on floor laughing". Überflüssige Buchstaben werden einfach weggelassen, um Platz und Zeit zu sparen.
Der Sprachwissenschaftler Peter Schlobinski von der Uni Osnabrück beschäftigt sich seit 20 Jahren mit dem Phänomen der Mediensprache:
"Also ich habe im deutschsprachigen Raum die erste Studie überhaupt durchgeführt, und wir haben damals Email-Kommunikation und Chat-Kommunikation untersucht. Das war noch der so genannte IRC, Internet Relay Chat, das war alles noch ein bisschen komplizierter, aber die Grundphänomene konnte man schon beobachten. Erstens: Man musste sich die einzelnen Kommunikationsformen sehr genau anschauen, denn es ist nicht alles gleich. Zweitens war für uns die Chat-Kommunikation besonders interessant, weil wir dort ja praktisch eine synchrone oder fast-synchrone Kommunikation haben, allerdings in der Schriftsprache. Und das heißt, dass diejenigen, die chatten, in kürzester Zeit ihre Kommunikation organisieren müssen und sich eigentlich so verhalten wie Sprecher. Vereinfacht gesagt, sie schreiben so wie sie sprechen, das heißt, die Syntax, also der Satzbau, ist relativ einfach und wir finden viele Abkürzungen aufgrund des Prinzips der Sprachökonomie. Es gab dann so Phänomene wie bestimmte Ausdrücke wie `freu´ oder `dumiraufdengeistgeh´, das waren dann schon Sachen, die sehr stark abweichend waren. Dann natürlich die Smileys, die sich sehr stark entwickelt haben. Am Anfang gab es eigentlich nur den freundlichen Smiley und ein paar Varianten – und heute haben wir bereits sehr viel mehr Bildzeichen. Also, da hat schon eine starke Dynamik stattgefunden."

Die technische Entwicklung der vergangenen Jahre ist rasant, scheint sich fast selbst zu überholen. Immer neuere Features, immer mehr Anwendungen, immer größere Herausforderungen, sagt der Soziologe und Medienwissenschaftler Matthias Karmasin:
"Der Eindruck, dass wir in einer Medien- und Informationsgesellschaft leben, ist nicht nur eine Metapher der Kommunikationswissenschaft, um gesellschaftliche Veränderungen auf den Begriff zu bringen, sondern das beschreibt schon, dass Medien in unserem Leben eine überragende Rolle spielen."

Was heute die so genannten Neuen Medien sind, das waren früher Radio und Fernsehen, davor die Zeitungen, davor der Buchdruck. Und jede neue Entwicklung ruft die Sprachkonservativen auf den Plan:
Zitat: "An die Stelle einer guten Schriftsprache ist eine hässliche Papiersprache getreten. [...]Franzosennachäfferei und Engländernachäfferei sind verbreitet. [...] Der eigentliche Herd und die Brutstätte dieser Verwilderung sind die Zeitungen, genauer die Tagespresse." So schrieb zum Beispiel der deutsche Philologe und selbsternannte Sprachpfleger Gustav Wustmann im Jahr 1891. Und Hans Weigel meinte 1974 in seinem Antiwörterbuch "Die Leiden der jungen Wörter":
Zitat: "Jede Zeit sagt, dass derzeit die Sprache gefährdet und von Zersetzung bedroht sei wie nie zuvor. In unserer Zeit aber ist die Sprache tatsächlich so gefährdet und von Zersetzung bedroht wie nie zuvor. [...] Die Bildungsexplosion hat beträchtlichen Sprachschaden angerichtet."

Ist die Sprache, in unserem Fall die deutsche Sprache, auch heute in Gefahr zu verkommen, zu verludern oder gar zu verschwinden? Nein, natürlich nicht, sagt Angelika Storrer, Germanistin an der Universität Mannheim:
"Es scheint einfach so eine Konstante zu sein in der Wahrnehmung von Sprache, dass man es als negativ empfindet, wenn sich in der Sprache etwas verändert. Es gibt in der Geschichte der Medien eigentlich eine Tradition, dass immer wieder beim Aufkommen neuer Medien diese neuen Medien als Faktor für den Sprachverfall identifiziert werden. Wirklich nachweisen, empirisch nachweisen, konnte man so eine schlechte Einflussnahme nie. Interessanterweise wurde lange Zeit auch die Zeitungssprache als schlechte Sprache empfunden, die einen negativen Einfluss auf das Deutsche hat. Heutzutage ist es eher so, dass man die Zeitungssprache als Maßstab für das Standarddeutsche ansieht. Da sieht man, dass sich in der Einstellung eigentlich immer wieder etwas verändert und die Konstante ist, dass `Neue Medien´ immer sehr argwöhnisch betrachtet werden, und das ist jetzt beim Internet nochmal in hohem Maße der Fall."
Und der Wiener Germanist Richard Schrodt formuliert es so:
"Sprache ist immer im Wandel und jede lebende Sprache muss sich wandeln – tote Sprachen ändern sich nicht mehr, das ist ganz klar – einfach deswegen, weil es immer ein neu zu gestaltendes Repertoire von emotionellen und expressiven Ausdrücken geben muss. Sonst funktioniert die Sprache nicht. Und insofern ist das geradezu eine Art von Notwendigkeit. Das, was man allerdings beobachten kann, ist, dass sich im Laufe der Zeit immer mehr gesellschaftliche Schichten am sprachlichen Verkehr beteiligen. Für diese Schichten gibt es verschiedene Termini: Ich rede am liebsten mit dem Terminus Wittgensteins `Lebensform´. Es ist heute eben so, dass sich verschiedene Lebensformen voneinander unterscheiden und auch überschneiden. Und hier sozusagen den eigenen Stand zu finden, ist sicherlich schwierig, und sehr viele Irritationen passieren deswegen, weil sich die Sprache als Zeichen von verschiedenen Lebensformen sehr gut beobachten lässt. Und dieses Beobachten von sprachlichen Formen ist heute geradezu zu einer kleinen Industrie geworden."
Es entsteht also keine neue Sprache, und das Deutsche geht auch nicht verloren:
"Ach, nein. Schon seit Jahrhunderten gibt es diese Befürchtungen, die sind völlig unbegründet. Das, was sich ändert, sind natürlich die Ausdrucksformen, und mit den Anglizismen kommen natürlich auch andere Wörter zu uns, die aber auch eine eigene Funktionalität haben. Sprache folgt immer dem gesellschaftlichen Wandel und ohne gesellschaftlichen Wandel geht es nicht, und daher geht es auch nicht ohne Sprachwandel."
Sprache ist etwas Lebendiges, einmal eckt sie an, dann wieder zeigt sie sich von ihrer sanften Seite. Wir drohen, streiten, versöhnen und lieben uns mithilfe unserer Sprache. Der gesprochenen und der geschriebenen Sprache. Im Lauf der Zeit verändert sie sich, auch die Sprache der Wissenschaft:
"Es mag sein, dass wir Geisteswissenschaftler dafür besonders vorgesehen sind, dass wir neue Sprachformen auch im wissenschaftlichen Text verwenden. Aber, selbstverständlich, die Wissenschaftssprache muss ja auch ihr Publikum erreichen und da ist es durchaus notwendig, sich hier deutlich und eindeutig auch der mündlichen Sprachform zu nähern", meint Richard Schrodt.

Doch zurück zur Netzsprache, zum Cyberslang. Dort werden Konventionen aufgebrochen, ein neues Bewusstsein für Sprache entwickelt und es wird nach Herzenslust experimentiert. Jannis Androutsopoulos, Professor für Germanistik und Medienwissenschaft an der Universität Hamburg, beschreibt einige Phänomene  im Detail, die sich in der Netzsprache beobachten lassen:
"Welche kreativen Gebrauchsmöglichkeiten schriftlicher, schriftsprachlicher Zeichen gibt es. Emoticons, also die Smileys, sind ein gutes Beispiel dafür, und was man zur Zeit verstärkt beobachtet auch in der Forschung ist der Gebrauch von Interpunktionszeichen, also wie gehen Sprachteilhaber mit Frage-, Ausrufezeichen und Auslassungspunkten um, denn all diese Zeichen werden nicht mehr so verwendet wie die Dudengrammatik oder die Schule es vorschreibt, sondern sie werden verwendet, um kommunikative Haltungen und Gefühle auszudrücken, um im schriftlichen Dialog mit anderen Beziehungsmanagement zu gestalten. Wir haben also neue kreative Gebrauchsformen schriftlicher Zeichen, die veranlasst werden durch die spezifischen Kommunikationsumstände der digitalen Interaktion, der digitalen Gespräche, die wir miteinander führen."
Ein anderes Phänomen ist der Dialekt, der häufig in der informellen Kommunikation verwendet wird:
"Manchmal ist der geschriebene Dialekt dann die normale Stimme eines Kommunikationsteilhabers, man schreibt einfach so, dass man immer wieder in jeder Äußerung an verschiedenen Stellen markiert, dass das Geschriebene als Dialekt zu lesen und zu verstehen ist. Manchmal ist es aber so, dass Dialektformen sehr spezieller zum Ausdruck kommen, um dann, im weitesten Sinne, Stereotypen hervorzurufen. Eine bestimmte Äußerung, die ein bisschen grober wirken soll oder ein bisschen direkter oder ein bisschen burschikoser. Man sieht also in der Art und Weise des Dialektgebrauchs letztlich die Haltungen der Beteiligten zu ihrem Dialekt: Ist der Dialekt ein normales Mittel des Alltags oder ist der Dialekt nur ein Stilisierungsmittel, auf das man immer wieder zurückgreift, um sich aber letztlich von dieser Stimme zu distanzieren."
Und dann wären da noch die Wortverkürzungen. Oft fallen Buchstaben der Schnelligkeit zum Opfer, manchmal ist die Verwendung dieser Wörter aber auch ein Zeichen dafür, dass man eben in ein anderes Register wechselt, in eine andere Rolle schlüpft. Jannis Androutsopoulos erklärt das anhand des Wortes IST, das immer öfter seines Ts am Schluss verlustig geht:
"Man könnte jetzt vermuten, die Situationen, in denen `is´ zulässig ist, also die verkürzte Form, gewinnen an Land, und die Situationen, in denen man besonders förmlich sprachlich zu handeln hat, also die `Ist´-Situationen, verlieren an Boden, weil sich unsere Kultur generell verändert. Denken Sie auch an das Duzen und die Ausbreitung des Duzens in immer mehr Bereichen der Öffentlichkeit."

Wir erleben eine Zeit der sozialen Distanz und einer noch nie dagewesenen kommunikativen Nähe, sagt der Soziologe und Medienwissenschaftler Matthias Karmasin. Die Welt rückt virtuell zusammen, es gibt immer mehr Möglichkeitsräume, in denen wir uns verwirklichen können. Wichtig ist es zu wissen, wie mit diesen Möglichkeiten umgegangen und wie in diesen Räumen agiert werden soll. Es geht um Medienkompetenz, also wie nutze ich Medien, wo bekomme ich die Informationen, die ich brauche, was darf ich glauben? Und es gibt noch einen wichtigen Aspekt, sagt Matthias Karmasin:
"Sehr viel Medienvermitteltes ist Interaktion, also Facebook, Twitter, Whatsapp, das ist ja alles Interaktion, also Unterhaltung. Und diese Form von Sozialinteraktion, oder parasozialer Interaktion – also ich schaue anderen Leuten zu, wie sie interagieren – ist ein ganz wesentlicher und wichtiger Bestandteil, und da spielt die Sprache und die Veränderung der Sprache und die Frage, welche Normen werden sprachlich gesetzt – was ist sozusagen die Normalsprache, was ist die Hochsprache, was ist die Sprache, die mich jetzt als ungebildet ausweist, das sind natürlich zentrale Elemente sozialer Distinktion, das sind zentrale Elemente, mit denen eine Gesellschaft auch die feinen und nicht ganz so feinen Unterschiede, um mit Bourdieu zu sprechen, deutlich macht, - natürlich eine Rolle."
Doch was ist nun die Norm? Wer legt fest, was normal ist und was nicht? Und was passiert, wenn die Norm gebrochen wird? Karmasin:
"Jemand, der weiß, dass man `jez´ anders schreibt; jemand der weiß, dass man ist mit t hinten schreibt; es gibt viele Leute, die auf Groß- und Kleinschreibung in Emails verzichten, auch das irritiert. Und man sagt aber, im Email brauche ich es nicht, weil es ist nicht sinnentstellend. Ich habe von ganz wenigen Leuten gehört `Ich habe das Email nicht verstanden, weil das war nicht groß- und kleingeschrieben´. In einer anderen Machtkonstellation, bei der Deutschschularbeit, empfiehlt es sich schon, Groß und Klein zu schreiben. Ich erwarte von einem 16-, 17-jährigen Mädchen oder Burschen, wenn sie in einer Deutschschularbeit sitzen, gehe ich davon aus, sind die clever genug, Groß und Klein zu schreiben. Aber wenn sie ihrer Freundin schreiben `du, was machen wir am wochenende, schönes wetter, fahren wir an den neusiedlersee´, dann werden sie das alles kleinschreiben, und Sender und Empfänger werden sich trotzdem verständigen können, und ich glaub, das wird zu keiner Irritation führen. Aber stimmt. Man kann das auch brechen, und dieses Brechen erzeugt enorme Irritation, weil es eben die Norm in Frage stellt in einer Gesellschaft, und das erzeugt immer ein bisschen Unruhe.

Denn plötzlich stehen sich etwa Student und Professor im virtuellen Raum auf Augenhöhe gegenüber, sagt Peter Schlobinski:
"Ich will jetzt nicht sagen, ist das gut oder schlecht. Was ich sagen will ist, dass man schon länger beobachten kann, dass die Distanzformen sich sozusagen abschleifen, auch in der gesprochenen Sprache, und dass das Netz diese Entwicklung beschleunigt. Also wenn ich als Professor dann Emails bekomme von Studierenden, in denen steht `Lieber Herr Professor´, dann ist das etwas, was vor zwanzig Jahren in einem Brief undenkbar gewesen wäre. Also insofern `schleift sich´ etwas ab. Und das hängt damit zusammen, dass sich bestimmte gesellschaftliche Normen bezüglich der Höflichkeit verändern."
Und sein Wiener Germanisten-Kollege Richard Schrodt fügt in Sachen Email-Verkehr zwischen Studenten und Professoren hinzu:
"Ich würde das akzeptieren, ich möchte es geradezu befördern, aber sie trauen sich nicht. Das habe ich schön öfter ausprobiert. Außer wenn man Studenten natürlich schon längere Zeit kennt, dann funktioniert das ganz gut. Die Nähe-Kommunikation braucht immer ein gesellschaftliches Einüben und eine Form der gesellschaftlichen Sicherheit, die man nicht voraussetzen kann, man weiß ja nicht, wie der Betreffende reagiert, wenn man ihm schreibt `Hallo Professor, wie steht’s mit der nächsten Prüfung?´, oder so. Das ist ein gewisses Risiko. Dazu muss man allerdings sagen, das Eingehen sprachlichen Risikos ist eine ganz wichtige Angelegenheit, gerade heutzutage. Man schreibt und spricht eigentlich dann am besten, wenn man so ein Risiko eingehen kann, und wenn man sich des Risikos bewusst ist."

Doch warum haben wir so ein Problem, wenn dieses Risiko eingegangen und mit Konventionen gebrochen wird? Für den Soziologen und Medienwissenschaftler Matthias Karmasin ist das eine einfache Frage:
"Das, was viele Menschen daran irritiert, und das ist dieselbe Frage wie die nach der Normsprache und der Höflichkeitsform, das kommt ja, wie wir wissen – Norbert Elias `Der Prozess der Zivilisation´ – aus der höfischen Gesellschaft, na und worum geht es da? Da geht es um Hierarchie, da geht es um die Demonstration von Macht, da geht es um die Demonstration von Status. Und warum diese verknappte, verkürzte Form der Email-Kommunikation, die eigentlich egalitär und dialogisch ist, von manchen als Bedrohung und als Verfall der guten Sitten und als Ende der Höflichkeit erlebt wird, hat aus meiner Wahrnehmung sehr viel damit zu tun, dass man genau diese Machtposition und die Hierarchie damit ein bisschen in Frage stellt."

Von der Groß- zur Kleinschreibung, vom "Sie" zum " Du", von "haben" zu "ham", von "eine" zu "ne" - hier werden Regeln gebrochen und grammatikalische Grenzen überschritten. Diese Übertretungen nennen wir gerne "Fehler". Doch wer weiß, vielleicht sind die Fehler von heute bereits die Regeln von morgen. Ein Beispiel aus der Sprachgeschichte: Als das Imperfekt von "schrauben" noch "schrob" lautete, machte jeder, der "schraubte" schrieb, einen Fehler. Heute würden wir den, der "schrob" schreibt, wohl "verschroben" nennen. Dass der Dativ dem Genetiv sein Feind ist, wissen wir, es kümmert uns aber meist wenig. Und dass man "dass" ab und an mit zwei "s" schreibt, hat sich, wenn man Chatrooms oder Kommentarseiten besucht, auch noch sehr wenig herumgesprochen.

Fehler und Rechtschreibregeln hin oder her: Das Netz ist jedenfalls eine Bühne, sagt der Sprachwissenschaftler Peter Schlobinski:
"Das spielt auch eine große Rolle, dass man sich selbst darstellen will. Das kann man insbesondere bei Jugendlichen beobachten, die dann eben, und da kommen wir nochmal auf die Norm zurück, die Norm brechen teilweise und sprachliche Varianten gebrauchen, um auf sich aufmerksam zu machen. Man kann aber auch beobachten – um nochmal eine Lanze zu brechen für die Jugendlichen -, wenn Sie sich bestimmte Blogs ansehen, bestimmte Reiseblogs von Jugendlichen, dann kann man sehen, dass sie sehr elaboriert schreiben und sehr interessante und gut erzählte Geschichten erzählen. Also, man muss wirklich genau hinschauen und sollte nicht alles über einen Kamm scheren."
Es wird viel geschrieben, vielleicht mehr als in früheren Generationen, und vieles davon ist gut und sicherlich auch kreativ. Doch die Germanistin Angelika Storrer relativiert:
"In vielen Bereichen muss man klar sagen, dass die Schriftlichkeit in diesen kleinen Botschaften nicht besonders originell und auch nicht besonders innovativ ist, sondern man versucht eben, wie in der Mündlichkeit auch, möglichst ökonomisch zu kommunizieren und greift eigentlich auf vorgefertigte Elemente zurück. Man kann ja heutzutage wirklich nicht mehr sagen, dass die Nutzung eines Smileys, oder ein Hashtag oder ein Inflektiv in irgendeiner Weise innovativ wäre, sondern das sind ja ganz verbreitete Phänomene im Netz."
Doch verändert sich durch die Nutzung der Neuen Medien die Schreibkompetenz? Kann jemand, der im Alltag eine vereinfachte Netz-Sprache verwendet, noch einen komplexen, grammatikalisch einwandfreien Text produzieren? Dazu wurden bereits empirische Studien gemacht, die zu dem Ergebnis kommen, dass sich schulische Schreibfähigkeiten durch das Schreiben im Netz nicht verschlechtern:
"Im Gegenteil, es gibt inzwischen weitere Studien, die eher darauf hinweisen, dass das Schreiben in Neuen Medien die Schreibkompetenz insgesamt stärkt, denn es kommt ja bei der Schreibdidaktik eigentlich darauf an, den Schülern Differenzierungsvermögen zwischen verschiedenen Textsorten mitzugeben. Ganz unabhängig von den Neuen Medien musste man ja auch bislang lernen, dass man einen Brief an die Oma anders verfasst als ein Bewerbungsschreiben, und das ist etwas, das mit den Neuen Medien weiterhin besteht, dieses Differenzierungsvermögen. Es gibt keinen Anlass, keinen empirischen Nachweis, dass das nicht auch gelingt."
Denn beim Vergleich zwischen Texten, die im Netz geschrieben werden und elaborierten Texten, mit denen man sich in der Schule oder in der Universität beschäftigt, ist ein Aspekt ganz wichtig, sagt Angelika Storrer:
"Man muss eben sehen, dass in der internetbasierten Kommunikation ja unter ganz anderen Rahmenbedingungen geschrieben wird, unterwegs, nebenbei, und dass eben auch die Technik mitschreibt, neuerdings auch in Form von Korrekturprogrammen, die manchmal Dinge korrigieren, die man gar nicht gemeint hat. Und entscheidend ist, wieviel Zeit man sich nimmt, die Produkte nochmal zu reformulieren oder noch einmal auf Korrektheit durchzusehen, bevor man sie abschickt. Das ist eine individuelle Entscheidung, die jeweils etwas mit der Kommunikationssituation zu tun hat: mit wem kommuniziere ich, wie wichtig ist es, dass ich schnell auf den Beitrag reagiere, wie wichtig ist es mir, einen korrekten Beitrag zu verfassen. Und ich denke, das sind Faktoren, die in der anderen Form von Schriftlichkeit, also beispielsweise beim Schreiben von Aufsätzen oder beim professionellen Schreiben von wissenschaftlichen Artikeln gar nicht bestehen. Da wird man normalerweise einen Review-Prozess durchlaufen, der einem alle Fehler ausmerzt. Und insofern ist es bislang überhaupt nicht nachweisbar oder plausibel, dass sich die eine interaktionsorientierte Form des Schreibens auf das textorientierte Schreiben auswirkt."

Der Wechsel zwischen den Registern funktioniert also und wir sehen Zeiten entgegen, in denen auf allen Ebenen und über alle Entfernungen digital kommuniziert wird. Wir passen uns an. Und die Technik passt sich an unsere Bedürfnisse an, schafft die Rahmenbedingungen, hilft uns mit Korrekturprogrammen, übersetzt unsere Texte. Was wird sich in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten in Sachen Mediensprache tun? Der Sprachwissenschaftler Peter Schlobinski gibt einen Ausblick auf die Zukunft:
"Für mich ist interessant, dass wir beobachten können, dass es Sprachtechnologien der Spracherkennung und –umsetzung gibt, Stichwort Apple Siri, also entsprechende Programme. Und man kann sich einfach mal überlegen, was das bedeutet, wenn wir immer mehr Programme haben, die Sprache erkennen können, umsetzen können in Schrift, dass wir immer mehr Übersetzungsprogramme haben, die ja auch immer besser werden.  Also ganz konkret: Sie können dann ja nicht in jedem Dialekt in Ihr Smartphone sprechen, sondern Sie werden eher Standard sprechen und das wird dann auch in Standardsprache umgesetzt, sodass man die Hypothese aufstellen könnte, es findet so eine Art Re-Standardisierung in der Sprache statt, alleine aufgrund dieser neuen Technologien. Und dann das Verhältnis von Bildinformation und Textinformation, also Schrift und Bild: Wir können beobachten, dass Bilder eine immer größere Rolle spielen, und die Frage ist, was das für die Schriftentwicklung und die Schriftkompetenz und in Folge für die Lesekompetenz bedeutet, ob wir Information immer verstärkter durch Bildinformationen aufbauen. Ein dritter Punkt, den ich persönlich interessant finde, ist, dass man sehen kann, dass es eine Art Fragmentierung der Information gibt, was mich zu der These führt, dass heute Studierende kaum noch in der Lage sind, zum Beispiel einen philosophischen Text von Adorno zu lesen, oder bereit sind diesen zu lesen. Das sind so Fragen: Wie wird Information wahrgenommen und später auch produziert? Das sind, glaube ich, ganz spannende Fragen.
Fragen, mit denen sich Sprach- und Medienwissenschaftler vermehrt auseinandersetzen werden müssen. Denn Sprache erreicht niemals einen Endzustand, sie befindet sich vielmehr in einem ständigen Prozess, der abhängig ist von Gesellschaft und Kultur. Allein, die Entscheidung liegt bei uns, ob wir mitmachen oder nicht.
In diesem Sinne, MFG, Strichpunkt Minus Klammer zu.