Afrika ist kein Land.

Sie erinnern sich sicher: Mitte Februar vergangenen Jahres bezeichnete die damalige Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck in einem Interview Afrika zweimal als „Land“. Empörung bei Opposition und in den sozialen Medien: Das sei wohl kein Versprecher gewesen, sondern zeuge von eurozentrischer Wahrnehmung und neokolonialistischer Einstellung. Dass der Autor Dipo Faloyin sein Buch Afrika ist kein Land genannt hat, ist wohl eher Zufall – die englische Version Africa is not a country erschien im April des Vorjahres –, zeigt aber die anhaltende Ignoranz und verzerrte Wahrnehmung, die es immer noch in Bezug auf diesen Kontinent gibt.

Der bekannte britische Fernsehkoch Jamie Oliver kocht afrikanischen Jollof-Reis (Dschollof-Reis). Ein einfaches Gericht aus Zwiebeln, Reis, Tomaten, das fast überall in Afrika verbreitet ist. So weit, so gut. Doch dann fügt Jamie Oliver Petersilie hinzu, gemahlenen Koriander und Kirschtomaten. So nicht, Zehntausende AfrikanerInnen äußern lautstark ihren Unmut: #JollofGate trendet drei Tage und sorgt für endlose Diskussionen.

Zitat: Jamies Sünde bestand im Versuch, eine hybride Version zu kreieren, von der er dachte, dass sie theoretisch allen gefallen würde, in der Praxis aber alle nur verärgerte. Er zerlegte ein prototypisches Familiengericht so weit, dass es kein Zuhause mehr hatte, das man sein Eigen nennen konnte – damit vollzog sich das genaue Gegenteil dessen, was dieses Gericht in Bezug auf die Identität und die Geschichte von Millionen von Menschen repräsentiert.

Jollof-Reis ist eben nicht nur ein einfaches Reisgericht, es ist so viel mehr: „Eine Party ohne Jollof-Reis ist nur ein Treffen“, schreibt der Autor. Diese Episode ist aber nur eine recht kurze in Dipo Faloyins bemerkenswertem Buch. 

Viel zu lange sei Afrika mit Hunger, Armut und Bürgerkriegen in Zusammenhang gebracht beziehungsweise als großer Safaripark präsentiert worden, in dem halbnackte AfrikanerInnen mit Speeren bewaffnet auf die nächste Hilfslieferung warten, so formuliert es der Autor. Er selbst wurde in Chicago geboren, ist aber in der nigerianischen Millionenstadt Lagos aufgewachsen.

Zitat: Nur wenige Gebilde wurden so oft durch dieses Feld verzerrter Realitäten gezwungen wie Afrika – ein Kontinent mit 54 Ländern, mehr als zweitausend Sprachen und 1,4 Milliarden Menschen. Eine Region, die behandelt und von der gesprochen wird, als wäre sie ein einziges Land; nuancenlos und dazu verdammt, auf ewig von Mangel geplagt zu sein.

Es ist Zeit für eine Gegenerzählung über diesen Kontinent. Und so geht es auch gleich zu Beginn des Buches um die Aufteilung Afrikas in der Berliner Konferenz Mitte November 1884, bei der Vertreter aus 14 Nationen anwesend waren, um willkürliche Grenzen zu ziehen, Völker auseinanderzureißen und sich die wertvollsten Bodenschätze zu sichern. Aus Afrika selbst war niemand dabei. Denn diese Menschen hätten vielleicht Einspruch erhoben, schreibt Dipo Faloyin.

Zitat: Vielleicht wäre eine Diskussion darüber entbrannt, was zivilisiert und unzivilisiert, wild und kultiviert, die entwickelte und die unterentwickelte Welt eigentlich ausmacht. Vielleicht. Doch das passierte nicht. Und es war Absicht; es war nicht so, dass sie niemanden auf dem Kontinent hätten finden können, der gewillt gewesen wäre, die zukünftigen Verhandlungen über die eigene Region mit zu beeinflussen. Der Sultan von Sansibar hatte ausdrücklich darum gebeten, teilzunehmen. Er wurde nicht eingeladen.

Mit Herz und Hirn schreibt der Autor gegen Klischees und Stereotype an, räumt auf und sortiert neu. Ist in vielen Momenten sehr persönlich, dann wieder ganz Reporter. LeserInnen werden geduzt, das erinnert an den Stil des Vice-Magazins, für das der in London lebende Autor regelmäßig schreibt. Immer wieder blitzen Humor und Ironie auf, und auch zornig ist Dipo Faloyin. Sein literarischer Schreibstil verlangt stets volle Konzentration – vielleicht liegt es aber auch an der deutschen Übersetzung, die viele Stellen sperrig oder sogar schwülstig wirken lässt.

Auf über 350 Seiten behandelt der Autor Themen wie den Helferkomplex der Weißen, die politischen Um- und Aufbrüche, die Popkultur und die Zukunft Afrikas. Etwa in Gestalt der ersten Frau an der Spitze Tansanias, Präsidentin Samia Suluhu Hassan, die für das Land – nach Jahren unter ihrem autoritären Vorgänger – als Hoffnungsträgerin gilt.

Zitat: Für Erste hat Suluhu Hassan gezeigt, dass schlechte Führung keine inhärent afrikanische Eigenschaft ist. Es gibt keinen Fluch. Es mangelt nicht an Kompetenz und Willen, das Richtige für sein Land zu tun. Der wahre Mangel seit der Unabhängigkeits-Ära des Kontinents waren die fehlenden Gelegenheiten.

Es ist Afrika zu wünschen, dass es noch viele solche Gelegenheiten gibt, die diesem riesigen Kontinent mit seinen vielfältigen kulturellen Ausformungen dabei helfen, zu sich selbst zu finden. Da kommt Dipo Faloyins leidenschaftliches Manifest gegen Europas Dummheit und Faulheit im Umgang mit Afrika gerade recht. Und die Einsicht, dass Afrika kein Land ist, ist hierbei wohl der erste wichtige Schritt.

Info: Dipo Faloyin Afrika ist kein Land (Suhrkamp 2023)