Die Hinrichtung Hugo Bettauers.

Vor 100 Jahren erschien der Roman Die Stadt ohne Juden von Hugo Bettauer. Eine utopische Vorstellung der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung – die wenige Jahre später Wirklichkeit werden sollte. Doch das hat der Autor nicht mehr erlebt – er wurde im Jahr 1925 Opfer eines nationalsozialistischen Mordanschlages. Der Historiker Valentin Fuchs versucht die Geschehnisse in seinem Buch Die Hinrichtung Hugo Bettauers anhand von Prozessakten, Zeugenaussagen und Zeitungsberichten zu rekonstruieren.

Hugo Bettauer galt zu seiner Zeit als einer der meistgelesenen Autoren, seine Romane Die Stadt ohne Juden und Die freudlose Gasse waren nicht nur in Buchform Bestseller, sie wurden auch in Starbesetzung verfilmt. Bettauer entstammte einer jüdischen Familie, lebte ein unstetes Leben zwischen Österreich, Deutschland und Amerika. 

In seinem Buch erzählt Valentin Fuchs zunächst in knappen Kapiteln über den schwelenden Antisemitismus, den Aufstieg der sogenannten Hakenkreuzler und über Bettauers Publikationstätigkeit. Ab 1924 gab Bettauer die Zeitschrift „Er und Sie. Wochenschrift für Lebenskultur und Erotik“ heraus, später hieß das Blatt „Bettauers Wochenschrift“. In den Artikeln ging es um sexuelle Tabus wie Homosexualität, Prostitution oder Schwangerschaftsabbruch. All diese Aspekte: seine jüdische Herkunft, seine liberale Einstellung, sein Engagement für eine aufgeklärte Gesellschaft – machten Hugo Bettauer zum Feindbild.

Am 10. März 1925 kam es in Bettauers Redaktionsräumen in der Lange Gasse in Wien-Josefstadt zu einem Attentat. Der junge Rechtsradikale Otto Rothstock, mit den Eltern aus Böhmen nach Wien zugewandert, verschaffte sich Zutritt zu Bettauers Büro.
Zitat: In einem unbeobachteten Moment versperrte er die Tür, zog einen Revolver und gab ohne Vorwarnung fünf Schüsse auf Hugo Bettauer ab. Der mehrfach getroffene Bettauer wehrte sich mit einer Schreibtischlampe gegen den Attentäter, taumelte zur Tür, öffnete sie mit einiger Mühe und brach dann im Vorraum zusammen.
Der verletzte Hugo Bettauer wurde ins Krankenhaus gebracht, der Attentäter ließ sich widerstandslos festnehmen. Rund zwei Wochen später erlag Bettauer seinen Verletzungen, die Anklage lautete daher auf Mord. Laut Valentin Fuchs gab es zahlreiche Aussagen von Zeuginnen und Zeugen, die zumindest auf Mitwisser, wenn nicht sogar auf Mittäter hinwiesen.
Zitat: Die Annahme, dass es sich bei dem Attentäter um einen Einzeltäter handelte, war die unwahrscheinlichste Variante von allen. Passiert ist genau das Gegenteil. Alle Hinweise, die eine Mehrtätertheorie favorisiert hätten, wurden quasi ignoriert, was nur einen Schluss zulässt. Die Exekutive war ab diesem Zeitpunkt an einer lückenlosen Aufklärung nicht mehr interessiert.
Das skandalöse Urteil lautete auf Freispruch und Einlieferung in die psychiatrische Anstalt am Steinhof, nach knapp eineinhalb Jahren war Otto Rothstock wieder frei.

Durch die Gegenüberstellung von Prozessaussagen gelingt dem Autor ein eindringlicher Blick auf diesen aufsehenerregenden Fall. In einem Einvernahmeprotokoll gibt sich der Täter selbstbewusst und überlegen.
Zitat: Beim Einkauf des Revolvers verfolgte ich bereits den Plan, auf eine jener Personen, die ich als schädlich erkannt hatte, einen Mordanschlag zu verüben, ohne dass ich jedoch damals die Person Bettauer ins Auge gefasst hätte. Erst im Lauf der späteren Tage konzentrierte ich meine Gedanken auf die Person des Bettauer, da ich die ganze Schädlichkeit dieser Literatur vor Gericht bringen wollte und in der Person Bettauers den, meiner Ansicht nach, ärgsten Vertreter dieser Schundliteratur treffen wollte.
Im Bericht von Hugo Bettauers Sekretärin Grete Grün erscheint der Täter jedoch ganz anders: 
Zitat: Drinnen, in Bettauers Zimmer, zwischen Wachleuten und fremden Menschen mit verzerrten Gesichtern, zwischen einem umgeworfenen Tisch, einer zerbrochenen Lampe, einem herabgezerrten Überwurf steht ein blasser Mensch. Er steht steif aufrecht, hält den Kopf künstlich gerade. Er verschränkt die Hände in Heldenpose und löst sie sofort wieder, nervös zuckt sein Kopf nach rückwärts.

Leider werden die teilweise sehr langen Zitate nur selten durch Quellen belegt, was schade ist und weiterführende Forschung erschwert. Zudem hätte das Lektorat an der einen oder anderen Stelle durchaus eingreifen können, um inhaltliche Wiederholungen zu vermeiden und den holprigen Stil des Autors zu glätten. Und auch wenn das letzte Kapitel, der sogenannte „Ausblick“ – ein sehr emotionaler Text, eigentlich ein Kommentar – einen etwas ambivalenten Eindruck hinterlässt, gibt dieses Buch dennoch aufschlussreiche Einblicke in die Hintergründe dieses rechtsextremen politischen Attentats.

Info: Valentin Fuchs Die Hinrichtung Hugo Bettauers. Zur Aufarbeitung eines rechtsextremen politischen Attentats (Promedia 2022)