Winterschwimmen.

Schwimmen im Winter – ja, im Hallenbad. Aber draußen, im Waldsee oder in der Donau? Brr. Doch genau das soll uns – wenn man der dänischen Autorin Susanna Søberg glauben möchte – gesünder und glücklicher machen. Im nördlichen Europa ist Winterschwimmen – so der Titel des Buches – bereits ein Trend und auch bei uns gibt es immer mehr Verwegene, die ihrem sportlichen Hobby auch an kalten Tagen frönen. 

Auf einem Foto sind vier fröhliche Menschen zu sehen, in offenbar selbst gestrickten, bunt geringelten Schwimmoutfits. Die Rostocker Seehunde in der Ostsee. Ganz normales Badevergnügen? Mitnichten. Die Ostsee ist eiskalt, nur 1,5 Grad zeigt das Thermometer an dem Tag, als das Foto aufgenommen wurde. Je weiter man in Europa Richtung Norden fährt, desto beliebter wird das Winterschwimmen. Es gibt Vereine und Klubs, ausgestattet mit Umkleiden, Badesteg und Sauna, die Wartelisten sind lang. Und das obwohl Winterschwimmen und seine extremste Spielart, das Eisschwimmen, dem Körper einiges abverlangen.

Zitat: Das Gehirn nimmt das eisige Wasser sofort als Gefahr wahr. Der Schock löst eine Stressreaktion aus, dein Körper konzentriert sich aufs Überleben und auf den Schutz der lebenswichtigen Organe. Die Blutgefäße in den Fingern, Zehen, Armen und Beinen und Haut ziehen sich blitzschnell zusammen. Das Blut strömt Richtung Körpermitte, um die Wärme und Funktion der vitalen Organe zu gewährleisten.

Klingt erstmal nicht wirklich verlockend. Aber die Autorin versteht es, ihre Leserinnen und Leser langsam und durchaus unterhaltsam mit ihrer eigenen Faszination für das Winterschwimmen zu infizieren. Immer wieder befragt sie Schwimmerinnen und Schwimmer – Anfänger genauso wie Fortgeschrittene – welche Auswirkungen regelmäßiges Schwimmen in eiskaltem Wasser habe:

Zitat: Mit einem strahlenden Lächeln erklärte er, dass es ihn „geduldiger“ und „gelassener“ gemacht habe. Mit dem morgendlichen Winterbad sei beispielsweise seine Gereiztheit im Verkehr wie weggewaschen. Andere Winterschwimmer*innen beschrieben, dass sie sich bei der Arbeit besser konzentrieren und nachts besser schlafen könnten.

Schwimmen im kalten Wasser bringt in der Sekunde des Eintauchens die Erkenntnis, dass gerade nichts anders zählt als dieses prickelnde Gefühl auf der Haut. Winterschwimmen entschleunigt, es belebt den Kreislauf, kurbelt den Stoffwechsel an und sorgt für die Ausschüttung von Hormonen wie Cortisol, Dopamin und vor allem Adrenalin.

Zitat: Die Blutgefäße der Muskeln und des Herzens erweitern sich, während jene der Haut sich verengen. Das erhöht den Blutfluss und die für die inneren Organe und die Muskeln verfügbare Glukosemenge. Gleichzeitig nimmt die Insulinproduktion ab, um das hohe Glukoseniveau im Blut weiterhin zu gewährleisten, damit die Energie für den Kampf oder die Flucht, die du zu meistern hast, vorhanden ist!

Für wen ist Winterschwimmen geeignet? Wann und wie soll man damit beginnen? Welche Vorsichtsmaßnahmen sind zu treffen? All diese Fragen werden beantwortet. Denn Susanna Søberg ist nicht nur Autorin, sondern auch Wissenschaftlerin. Sie beschäftigt sich in klinischen Studien mit Fragen zum Stoffwechsel. Aktuell geht es dabei um das so genannten braune Fettgewebe, das wir vor allem am Hals, an der Wirbelsäule und rund um Herz und Nieren haben.

Zitat: Im Unterschied zum weißen Fettgewebe wird das braune unglaublich schnell aktiviert, wenn es der Kälte ausgesetzt ist, und beginnt unmittelbar mit der Energieverbrennung. Studien haben ergeben, dass eine Hand oder ein Fuß in einem Eimer mit Eiswasser getaucht innerhalb weniger Sekunden oder Minuten zur Aktivierung des braunen Fetts führt. Das ist mittels PET-Scan nachweisbar. Leider ist das bei weißem Fett nicht der Fall.

Man muss in dieses Buch ein bisschen hineinfinden. Es ist eine etwas abenteuerliche Mischung aus Reportage, Ratgeber und wissenschaftlichem Sachbuch. Zu Beginn verstören die sich mehrmals wiederholenden Hinweise, was man nicht so alles in diesem Buch erfahren würde, es erinnert ein bisschen an US-Dokumentationen mit ihren Wiederholungen und Cliffhangern vor den nächsten Kapiteln. Wie in Dänemark und anderen nordeuropäischen Ländern üblich, wird man in diesem Buch geduzt, das ist sympathisch. Und die große Anzahl sehr eindrucksvoller Fotos, die in eisblau gehaltene Grafik und vor allem die stets spürbare Begeisterung der Autorin genauso wie ihre gesunde Skepsis lassen einen dann aber doch eintauchen. Ins Buch wohlgemerkt, der Sprung ins kalte Nass erfordert wohl noch einiges an Überwindung.

Info: Susanna Søberg Winterschwimmen, aus dem Dänischen von Holger Wolandt (Piper Verlag 2022)