Land der Frauen.

Ein Bestseller aus Spanien ist jetzt auf Deutsch übersetzt worden. Unter dem Titel Land der Frauen beschäftigt sich Autorin María Sánchez mit dem Leben auf dem Land. Genauer gesagt, mit dem Leben der Frauen auf dem Land. Denn in Spanien werden diese nimmermüden Frauen gerne übersehen. Die Autorin selbst nennt ihren Text einen Essay, doch er ist viel mehr als das. Er ist ein leidenschaftliches Plädoyer für die Gleichberechtigung und Wertschätzung von Frauen am Land. 

María Sánchez wollte schon als Kind Tierärztin werden und folgt damit einer männlichen Tradition in der Familie. Der Vater war Landtierarzt und auch der Großvater hatte bereits diesen Beruf. Die Autorin ist also die erste Frau in der Familie, die in einem männlich dominierten Beruf arbeitet. Das Land und das Heimatdorf sind für sie voller wunderbarer Kindheitserinnerungen – ein Rückzugsort. Die Männer, also der Vater und vor allem der geliebte und geachtete Großvater, sind ihre Vorbilder.

Zitat: Die Jahre meiner Kindheit habe ich mit ihm zugebracht, inmitten eines Gartens voller Tiere. Das Land war das Substrat, in dem meine Familie mütterlicher- wie väterlicherseits über die Generationen hinweg Wurzeln geschlagen hatte: Das waren der Garten, die Vorratskammer, die Familie aus Kork- und Steineichen und Olivenbäumen, die Tiere, unsere Verbündeten bei Ernte und Arbeit.

Als eine ihrer beiden Großmütter an Demenz erkrankt, stellt María Sánchez fest, dass sie gar nichts weiß von dieser Frau. Und auch von den anderen Frauen ihrer Familie. Am Land in Spanien blieben und bleiben Frauen unsichtbar, obwohl sie einen großen Anteil der Hof-, Haus- und Familienarbeit verrichten.

Zitat: Denn das ist die Geschichte unseres Landes und die von so vielen: Frauen, die im Schatten blieben und ohne Stimme, um den Stern des Hauses kreisend, die schwiegen und machen ließen; treue, geduldige, gute Mütter, die Gräber, Bürgersteige, Fassaden sauber hielten, Jahr für Jahr mit Kalk und Waschlauge hantierten, Sachverständige für Heilmittel, Rituale und Wiegenlieder; Hexen, Lehrmeisterinnen, Schwestern, die in gedämpftem Ton miteinander redeten, die uns ernährten und schützten, die mit den Jahren einfach zu einem weiteren Zimmer, zu einer Ader im Geflecht des Hauses wurden.

María Sánchez ist jedoch nicht nur Tierärztin, sie ist eben auch Autorin. Sie schreibt Prosatexte genauso wie Gedichte. Und so entstand ein poetischer, kluger und ehrlicher Text, der wie selbstverständlich zwischen Erinnerungen, politischen Analysen und Fallbeispielen hin und herspringt. Man muss sich ein bisschen einlesen auf diese sehr persönliche Herangehensweise, diese kritische Selbstbefragung und Aufarbeitung der Geschichte. Spannend sind jene Kapitel, in denen die Autorin aktuelle Landfrauenbewegungen vorstellt, wie die „Ramaderas de Catalunya“, also die katalanischen Bäuerinnen.

Zitat: Sie haben keine Angst, sich zu zeigen, sind unverhohlen feministisch, denn sie wissen, dass der ländliche Raum ohne sie undenkbar wäre. Sie haben es satt, immer noch nach ihren Ehemännern gefragt zu werden, obwohl sie allein für ihre Herden verantwortlich sind. Sie haben es satt, in das Postkartenidyll der hübschen Schäferin, die, umringt von munter umherspringenden Schäfchen, unter ihrem Strohhut ein Nickerchen hält, gezwängt zu werden.

Besonders eindringlich und innig sind die drei Kapitel über Urgroßmutter, Großmutter und Mutter der Autorin, wobei sie Erstere nicht persönlich kennengelernt hat. Die Mutter war für die Autorin lange Jahre eine Fremde, auf keinen Fall wollte María Sánchez werden wie sie. Bis sie sich endlich Zeit nahm, um der Mutter zuzuhören. 

Zitat: Für sie ist das Land kein beschaulicher, erholsamer Ort. Für sie bedeutet es Kälte, Regen, Schrunden an den Händen und keine Macht übers eigene Leben. Ein Leben im Schatten des Vaters und des Großvaters. Gehorchen, dienen, sich aufopfern. Immer auf andere Rücksicht nehmen. Für sie sorgen. Nie auf sich selbst achten. Immer hintanstehen.

In Spanien hat das Buch Land der Frauen einen Nerv getroffen. Ob es auch in Österreich derart durchstartet, bleibt abzuwarten – zu sehr unterscheiden sich wohl die Lebenswelten in den ländlichen Gebieten der beiden Staaten. Dieses Buch behandelt jedoch ganz nebenbei große Themen wie das Erbe der Franco-Diktatur, die Arbeitsbedingungen von Erntehelferinnen oder das immer noch herrschende Stadt-Land-Gefälle. Ein insgesamt überaus eindringlicher Text, der – so wirkt es – direkt aus dem Herzen der Autorin auf die Buchseiten geflossen ist.

Info: María Sánchez Land der Frauen, aus dem Spanischen von Petra Strien (Karl Blessing Verlag 2021)