Luis Inácio LULA da Silva.

Brasilien – ein Land mit mehr als 210 Millionen Einwohnern, ein Land der extremen Gegensätze zwischen Arm und Reich, ein Land mit wechselvoller Geschichte. Die letzten Jahre waren geprägt von drei Personen, dem überaus populären Präsidenten Luis Inácio Lula da Silva, seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff und dem aktuellen, rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro. Über ersteren hat der Brasilienkenner, Journalist und Autor Andreas Nöthen nun eine politische Biografie vorgelegt, in der er das Phänomen Lula von verschiedenen Seiten beleuchtet und in der jüngeren Geschichte Brasiliens einordnet.

Luis Inácio Lula da Silva wurde im Jahr 2002 zum Präsidenten Brasiliens gewählt, zwei Amtszeiten stand er an der Spitze des größten Landes Südamerikas. Zuvor war er mehrmals bei der Präsidentschaftswahl gescheitert, obwohl er als Mann des Volkes galt und stets große Popularität genoss. Es war ein langer Weg vom politischen Aktionismus der 1970er Jahre bis zu Lulas Einzug in den Palácio da Alvorada, den Palast der Morgenröte, den Amtssitz des Präsidenten in der Hauptstadt Brasilia.

Zitat: Im Fernsehen kam der Straßenkämpfer Lula eher unbeholfen und wenig präsidentiell rüber. Seine Sprache war zwar durchaus kraftvoll und konkret, aber auch wenig schweinwerfertauglich und machte in ihrer Klarheit dem einen oder anderen vielleicht auch Angst.

Gegliedert ist das vorliegende Buch in mehrere Zeitspannen, die – je näher sie rücken – umso ausführlicher besprochen werden. Von den ersten politischen Aktivitäten des Mannes aus dem armen Nordosten Brasiliens bis hin zu Korruption, Skandalen und Urteilen. Dazwischen ist viel Platz für Lulas Politik, vor allem seinen erfolgreichen Kampf gegen Armut und Hunger. Etwa mit Hilfe der Bolsa família, einer Unterstützung für finanziell schwache Familien.

Zitat: Im September 2010 bezogen 13,8 Millionen Familien, etwa ein Viertel der gesamten Bevölkerung, das Hilfspaket. Im Gegenzug waren Familien dazu verpflichtet, ihre Kinder zur Schule zu schicken und regelmäßig an staatlichen Impf- und Gesundheitsprogrammen teilnehmen zu lassen.

Oder das ehrgeizige Programm gegen den Hunger, Fome zero, das bedürftigen Menschen nicht nur finanziell half, sondern die Landbevölkerung zum Beispiel bei der Bewässerung ihrer Felder mit Knowhow unterstützte. Das Image Lulas wurde aufpoliert.

Zitat: Die Erfolge wurden international gefeiert und sicherten der Regierung eine langanhaltende Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit. Innenpolitisch wurde die Anti-Hunger-Kampagne als Instrument eingesetzt, um die Akzeptanz für die Politik der Regierung bis weit in das konservative Lager hineinzutreiben.

Andreas Nöthen kennt sich aus in Brasilien. Neben der politischen Karriere seines Protagonisten, stellt der Autor auch Lulas Weggefährten vor, jene Menschen, ohne die der Aufstieg Lulas nicht möglich gewesen wäre. Spannend auch der Exkurs zur Militärdiktatur, die in der brasilianischen Geschichte einen wichtigen Zeitraum darstellt. Neben vielen anderen regimekritischen Personen war auch der vorlaute Gewerkschafter Lula eine Zeitlang inhaftiert. Und der Autor berichtet über die Rolle der Evangelikalen Kirche, die in Brasilien besonders mächtig ist, und den amtierenden Präsidenten Jair Bolsonaro, der im zweiten Namen tatsächlich Mesias heißt, nach Kräften unterstützt.

Zitat: Die Evangelikalen verfügen über zwei entscheidende Voraussetzungen, die es erschweren, an ihnen vorbei Politik zu machen: Sie haben eine große Überzeugungskraft mit ihren Millionen von Gläubigen und können Wahlkampagnen mit großer Sichtbarkeit führen. Die Rechnung für die Regierung kommt freilich später. Oft in der Forderung nach immer weiteren Zugeständnissen.

Leider wird das Lesevergnügen durch den teilweise holprigen Stil des Autors getrübt - Wortwiederholungen, viele Redewendungen und Zeitensprünge lassen die Leserin immer wieder stutzen. Ein sorgfältigeres Lektorat hätte hier in vielen Fällen für Klarheit sorgen können. Auch ein Abkürzungsverzeichnis wäre gut gewesen, um sich im Dschungel der brasilianischen Institutionen und Parteien besser zurechtzufinden.

Insgesamt legt Andreas Nöthen aber ein dichtes, gründlich recherchiertes Buch vor, vollgepackt mit Informationen, Querverweisen und Zusammenhängen. Anfang Oktober wird in Brasilien wieder gewählt. Dann wird sich weisen, ob Luis Inácio Lula da Silvas politische Biografie um ein weiteres Kapitel ergänzt wird.

Info: Andreas Nöthen Luis Inácio LULA da Silva. Eine politische Biografie, (Mandelbaum 2022)