Die Druckmacher.

Noch nie konnten Texte so schnell und so weltumspannend verbreitet werden wie heute. Ein Klick und schon ist ein Text veröffentlicht, ein weiterer Klick und man kann via Kommentarfunktion darauf reagieren. Und doch ist das ganze System bereits über 500 Jahre alt. Mit der Erfindung des Buchdruckes nutzten Theologen, Humanisten und andere Gelehrte diese Technik, um ihre Lehren zu verbreiten. Thomas Kaufmann, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Göttingen und Experte für Martin Luther und die Reformation spricht in seinem Buch Die Druckmacher von der ersten Medienrevolution und vergleicht sie mit der zweiten, nämlich jener, die um 1990 durch das Internet ausgelöst wurde.

Ob der Mainzer Patriziersohn Johannes Gutenberg damals damit rechnete, was seine Erfindung auslösen würde, als er Mitte des 15. Jahrhunderts die serielle Reproduktion von Texten entwickelte? Seine berühmte Bibel hatte eine geschätzte Auflage von 180 Stück, dreißig Jahre später wurden von manchen Schriften bereits bis zu 20.000 Stück hergestellt. Eine machtvolle Erfindung. Autor Thomas Kaufmann sieht in den Menschen, die sich damals dieser neuen Technik verschrieben, eine Analogie zu jener Generation, für die von Beginn an die digitale Welt eine Selbstverständlichkeit war. Er nennt sie Printing Natives.

Zitat: Geboren in den 1470er- bis 1490er-Jahren, wuchsen sie in eine kulturelle Situation hinein, in der die Printtechnologie etabliert und weithin konsolidiert war und erste Standardisierungen und Normierungen hinsichtlich der Gestaltung, Vermarktung und Akzeptanz ihrer Produkte erreicht waren.

Freilich waren Bücher und andere Schriften zunächst nur einer vornehmlich männlichen Gruppe von Gelehrten zugänglich. Und schon damals zeigten sich frühe Formen des Kommentierens, des Austausches und der Kommunikation.

Zitat: Nicht selten besaßen sie eigene Bücher oder hatten Zugang zu Bibliotheken. Auch in den öffentlich verfügbaren Buchexemplaren brachten sie mit größter Selbstverständlichkeit Unterstreichungen und Annotationen an. Individuelle Rezeption war eingebunden in ein Gespräch mit Menschen, die das Buch vorher gelesen hatten oder nachher lesen würden.

Im Kapitel „Publizistische Explosionen“ kommt der Autor zu seinem Kernthema: zu Martin Luther und der Reformation. Ohne den Buchdruck wäre sie nicht möglich gewesen, konstatiert Thomas Kaufmann. Luthers 95 Thesen wurden im Jahr 1517 sowohl in der Druckmetropole Leipzig veröffentlicht wie auch in der Universitätsstadt Wittenberg, wo die Kirchentür als eine Art Schwarzes Brett diente. Luther verstand es, die neue Technik für sich zu nutzen, der Druck verschaffte seinen Gedanken eine ungeahnte Verbreitung. Aus erhaltenen Manuskripten ist erkennbar, dass er ganz bewusst für die Drucklegung arbeitete.

Zitat: Luther schrieb sehr gut lesbar, sauber und ebenmäßig, so dass ein fehlerfreier Satz aus dem Manuskript möglich war. Er gliederte den Text und legte durch Ziffern, Überschriften und Unterstreichungen eine entsprechende Strukturierung des Satzes nahe. Dem Druck kann man dann entnehmen, dass seine Vorgaben unmittelbar umgesetzt wurden.

Martin Luther und der Buchdruck sind unentwirrbar ineinander verwoben. Auch sein Tod spiegelte sich in zahlreichen Publikationen, gedruckten Reden und Gedichten wider.

Zitat: Luthers publizistisch inszeniertes Sterben entsprach seinem ganz vom Kampf mit dem gedruckten Wort bestimmten Leben. Ohne den Buchdruck wäre Luther, der Printing Native schlechthin, im Leben, im Sterben und auch in seinem vielfältigen Nachleben bedeutungslos, undenkbar, nicht er selbst, nicht „Luther“ gewesen. Luther war eine durch und durch typographische Existenz.

Auf den wunderbar mehrdeutigen Titel des Buches „Die Druckmacher“, der sich Seite für Seite immer besser erschließt, geht Thomas Kaufmann im Epilog im Detail ein.

Zitat: Typographisch reproduzierte Texte und Bilder machten vielfach Auseinandersetzungen erforderlich, erzeugten also einen Argumentations- und Erwiderungsdruck. Die schnellere Verbreitung erzeugte Zeitdruck; ein notwendiges Reagieren etwa mit einer Gegenschrift konnte finanziellen Druck aufbauen.

In diesem überaus präzisen und detailgenauen Buch, dessen letzte 100 Seiten nur Anmerkungen, Quellen, Literatur und Registern vorbehalten sind, wird ein atemberaubender Bogen von der Erfindung des Buchdruckes bis hin zu einer völlig veränderten Welt mit neuen Möglichkeiten der Bereitstellung und Nutzung gedruckter Schriften gespannt. Immer wieder fühlt man sich wie auf einer Zeitreise, eigenartig vertraut sind viele historische Momente, überraschend modern waren die Akteure. Der Buchdruck brachte mehr Teilhabe, veränderte Bildung und Kultur grundlegend. Printing Natives mussten weniger Zeit drauf verwenden, Texte abzuschreiben und hatten folglich mehr Zeit, sich selbst in Flugschriften zu vermarkten, aber auch um Ereignisse zu skandalisieren und diese Texte dann zu verbreiten. Und am Ende der Lektüre bekommt man das Gefühl, es habe sich gar nicht so viel verändert, in den letzten 500 Jahren.

Info: Thomas Kaufmann Die Druckmacher. Wie die Generation Luther die erste Medienrevolution entfesselte, (Verlag C.H. Beck 2022)