Wir kennen das alle: Wir gehen spazieren und plötzlich steigt uns ein Geruch in die Nase. Sofort werden Erinnerungen wach, werden Situationen lebendig. Dennoch wird das Riechen meist weniger wichtig genommen als das Sehen und Hören. Dass Gerüche und der dazugehörige Sinn aber für menschliches und tierisches Leben auf unserer Erde essenziell sind, zeigt der Neuroethologe und Direktor des Max-Planck-Instituts im deutschen Jena, Bill Hansson, in seinem Buch mit dem Titel „Die Nase vorn“.

Ein Geruch, das sind Moleküle, die in der Luft herumschwirren, bevor sie von unseren Nasen eingefangen werden. Es sind zwar chemische Prozesse, die da zwischen den Rezeptoren in der Nase und dem Gehirn ablaufen, diese sorgen aber für jede Menge Emotion. Gerüche können duften und uns glücklich machen, sie können aber auch als Gestank daherkommen, den wir mittels Nasezuhalten auszusperren versuchen. 

Zitat: Der Geruchssinn hilft uns, die chemische Welt um uns herum wahrzunehmen und zu interpretieren, und in vielerlei Hinsicht ist er unentbehrlich, damit wir ungefährdet, gesund und glücklich leben können. Und doch neigen wir dazu, diesen fünften Sinn zu missachten, oder wir halten ihn für einen Überrest urtümlicher Zeiten.

Eine Reise in die Welt des Geruchssinns, so lautet der Untertitel dieses Buches. Und die Reise beginnt beim Menschen, der im Gegensatz zu vielen Tierarten kein besonders guter Riecher ist. Dass der Geruchssinn aber für unser Leben äußerst wichtig ist, hat uns die jüngere Vergangenheit gelehrt – dann nämlich, wenn durch eine Covid-19-Erkrankung genau dieser Sinn verschwindet. Das Leben wird fad ohne Gerüche. Doch der Mensch ist es auch, der die Geruchslandschaft seit Jahrhunderten weltweit beeinflusst. Ein Beispiel betrifft die biologische Vielfalt der uns umgebenden Natur.

Zitat: Im Lauf der Zeit holzten Menschen die Wälder ab oder setzten sie in Brand und verwandelten Blumenwiesen in Anbauflächen. All diese Veränderungen machten die gewaltige Verbreitung und Vermehrung der Menschheit erst möglich. Gleichzeitig sorgten sie auch für eine tiefgreifende Veränderung der Geruchslandschaft in unserem Umfeld.

Viele Tierarten sind von ihrem Geruchssinn abhängig, nur so finden sie ihre Partner, nur so finden sie Nahrung und sorgen zum Beispiel durch Bestäubung für Erhalt und Verbreitung von Pflanzen. Der beste Riecher der Tierwelt ist – und das ist tatsächlich bemerkenswert – der Nachtfalter. Er kann minimale Geruchspartikel eines Weibchens erkennen und fliegt oft enorme Wege, um zu diesem Weibchen zu gelangen. Dazu dienen ihm seine Antennen am Kopf, die mit bis zu 100 000 Geruchshaaren ausgestattet sind.

Zitat: Man kann sich jedes dieser Haare wie eine winzige kleine Nase vorstellen. Es ist jeweils auf seine eigene Umgebung beschränkt und reguliert die chemischen Vorgänge rund um die in seinem Inneren gelegenen Neuronen. Diese schwimmen in einer zähen Flüssigkeit, die den Transport von Molekülen in die Neuronen begünstigt.

In weiteren Kapiteln beschäftigt sich der Autor mit dem Hund, der mit seiner Nase beim täglichen Spaziergang die Duftmarken anderer Hunde liest und zum Erschnüffeln von Drogen, Trüffel oder Krankheiten eingesetzt wird; er erzählt von der Maus, die sozusagen vier Nasen besitzt, die jeweils andere Aufgaben zu erfüllen haben. Es geht auch um Borkenkäfer, Krebse, Pinguine, Vögel und Pflanzen. Und um Fische. 

Zitat: Wie man aus Experimenten weiß, prägen sich Lachse die Gerüche ihres Geburtsflusses im olfaktorischen Gedächtnis ein, während sie stromabwärts wandern. Ihre Heimat besitzt zweifellos eine einzigartige Kombination aus Wasserpflanzen, Tieren und Boden, die gemeinsam einen ebenso einzigartigen Duft erzeugen. Bei der Rückkehr erinnern sich die Fische an diesen besonderen Geruch ihrer Heimat und erkennen, welche Route sie auf der Wanderung stromaufwärts zum Laichplatz einschlagen müssen.

Riechen – das ist ein komplexer Vorgang. Doch Bill Hansson erklärt die Zusammenhänge gut verständlich. Seit vielen Jahren beschäftigt sich der Autor mit der Frage, wie Tiere, Menschen und Pflanzen mittels Duftstoffen kommunizieren. Er nimmt seine Leserinnen und Leser mit auf spannende Forschungsreisen, aber auch ins Labor, wo Wissenschaftler unter dem Mikroskop nach Ursachen und Verknüpfungen in Sachen Geruchssinn suchen. Dass sich unsere Welt verändert – und zwar nicht zum Guten – und der Mensch zu einem Gutteil dafür verantwortlich ist, betont Bill Hansson in seinem Buch immer wieder. Wir sollten in Zukunft daher nicht nur kritisch hinterfragen, was wir so alles sehen und hören, sondern immer wieder auch das, was wir riechen.

Info: Bill Hansson Die Nase vorn – Eine Reise in die Welt des Geruchssinns, aus dem Englischen von Sebastian Vogel (S. Fischer 2021)