Quarantäne! Eine Gebrauchsanweisung.

Ausgangsbeschränkungen als Herausforderung. Wir leben ein bisschen wie Mönche. Und dieser Vergleich ist gar nicht so falsch, müssen wir doch mit dem Alleinsein zurechtkommen, mit beengten Räumlichkeiten, mit täglichen Routinen. Der wohl bekannteste deutsche Mönch, Anselm Grün, dreht den Spieß um, er erzählt aus dem Klosterleben: In seinem Buch Quarantäne! Eine Gebrauchsanweisung vergleicht er seinen Alltag mit der uns derzeit verordneten Isolation. Es geht um Stille, Nähe und Distanz, aber auch Langeweile und neue Ziele.

Anselm Grün, mit weißem Rauschebart und lachenden Augen: Ein Mönch, wie man ihn sich vorstellt. Zu Hause ist er in einer Benediktinerabtei in Bayern. Hunderte Bücher hat er bisher geschrieben, er leitet Kurse und hält Vorträge. Naheliegend, dass er sich auch in der derzeitigen Situation Gedanken macht.
Zitat: Der Begriff „Quarantäne“ steht für eine Zeit der Abgrenzung, der Isolation, zeitlich begrenzt. Das ist wichtig: Es wird ein Ende der Quarantäne geben, das sollten wir uns immer wieder sagen.

Es ist ein schmales Büchlein, etwas unter 100 Seiten, an einem Nachmittag hat man es durchgelesen. Es ist kein spiritueller Ratgeber, wie man vermuten – oder befürchten – könnte, es sind Vorschläge, Gedanken und Ideen, wie jeder und jede von uns die Zeit am besten nutzen könnte, bis wir unser normales Leben wieder aufnehmen. Es sind die Strategien der Benediktinermönche, die Anselm Grün bei seinen Überlegungen als Grundlage dienen. Die Kunst des Zuhörens etwa. Wir können nur mit anderen fühlen, wenn wir ihre Sorgen und Ängste ernst nehmen. Ein Großteil der Menschen lebt nicht allein, in vielen Fällen ist kaum für alle Platz. Doch Familie kann man sich nicht aussuchen. Und so drohen Konflikte und Streitereien. Das Wort „Gehorsam“ – kein besonders beliebtes Wort – bekommt bei Anselm Grün eine positive Bedeutung.
Zitat: So gehört zum Gehorsam das Hören aufeinander und die Bereitschaft, sich auf das einzulassen, was für das Leben der Gemeinschaft unabdingbar ist: auf die verschiedenen Dienste des Alltags, auf die konkrete Form, wie die Gemeinschaft, wie die Familie das Miteinander gestaltet.
Das heißt: Zuständigkeiten definieren, klare Routinen in den Tagesablauf einbauen.
Zitat: All das, was dem Alltag vorher Struktur und Form gegeben hat, bricht weg. Die Menschen, die wir vorher getroffen haben, können wir nicht mehr treffen. Die Orte, die uns Kraft und Freude gaben, können wir nicht mehr besuchen.

Rituale können in Zeiten der Krise helfen, sie schaffen Klarheit, sie sind die Geländer der Seele, wie Anselm Grün es formuliert. Sie sorgen dafür, dass wir uns festhalten können, dass wir nicht fallen. Solch ein Ritual kann vieles sein: Yogaübungen, Musik hören, einfach nur aus dem Fenster schauen oder – wie in Anselm Grüns Fall – innere Einkehr und Gebet. Er nennt diese Minuten, die im Klosterleben eine zentrale Rolle einnehmen, die „heilige Zeit“.
Zitat: Die heilige Zeit ist also die Zeit, die ganz uns gehört und ganz Gott gehört. Die Griechen sagen: Nur das Heilige vermag zu heilen. Die heilige Zeit ist daher immer auch eine heilsame Zeit. In der heiligen Zeit, da bin ich die Ruhe und die Ruhe ist in mir.

Es ist ganz natürlich, dass es in einem Buch, das ein Mönch geschrieben hat, auch immer wieder um Glaube und Religion geht. Doch hier wird niemand bekehrt, der das nicht will. Von katholischer Seite wird Anselm Grün immer wieder als zu liberal kritisiert, als zu sehr dem Zeitgeist verschrieben. In diesem Buch haben Grüns Gesinnung und Lebensanschauung jedenfalls ihr Gutes, finden doch auch Aus-der-Kirche-Ausgetretene oder Andersgläubige durchaus Ansätze, die sie überzeugen könnten. Die Schriften Benedikts, des Ordensgründers, werden neu interpretiert, da ist nichts abgehoben oder weltfremd, sondern durchaus alltagstauglich. So bedient sich der begeisterte Bergsteiger Anselm Grün gerne der Metapher des Wanderns.
Zitat: Wenn ich Schritt für Schritt gehe, wenn ich mir kleine Zwischenziele setze, erreiche ich den Gipfel. Doch ich brauche auch den Blick zum Gipfel und die Vorstellung der herrlichen Aussicht, um mich zu motivieren und auch die, die mit mir wandern.
Der Weg ist das Ziel – raus aus dem Lagerkoller, der uns derzeit aus allen Winkeln unserer vier Wände entgegenschielt. Nähe und Distanz sind Schlagwörter, die der Benediktinermönch abhandelt: Wo finde ich auch in der kleinsten Wohnung meine Nische, wie geht das mit der Solidarität und was können wir, wenn wir diese Phase der Isolation hinter uns haben, in unserem Leben anders machen?

Zitat: Die Krise kann uns lehren, authentischer zu leben.
Es sind kurze, prägnante Sätze wieder dieser, die sich bei der Lektüre dieses schmalen Buches einprägen. Und die man sich gerne merken möchte. Für jetzt, um die Situation besser zu meistern. Und für später.

Info: Quarantäne! Eine Gebrauchsanweisung von Anselm Grün (Herder 2020)