Was wir der Zukunft schulden.

Warum wir jetzt darüber entscheiden, ob wir die nächste Million Jahre positiv beeinflussen, so lautet der Untertitel des nun auf Deutsch vorliegenden New-York-Times-Bestsellers Was wir der Zukunft schulden. Der britische Philosoph und Autor William MacAskill macht sich hier Gedanken darüber, dass wir in Sachen Nachhaltigkeit viel zu kurzfristig denken und nachfolgende Generationen zu wenig in unsere Entscheidungen einbeziehen. 

Wenn wir an die Zukunft denken, dann denken wir zunächst an den morgigen Tag, was ist zu tun, wer anzurufen. Längerfristig sind unsere Gedanken beim nächsten Urlaub, oder wir stellen uns vor, was unsere Kinder und Enkelkinder so mit ihrem Leben anfangen werden. Und da hakt William MacAskill mit seinem Buch ein. Denn das Leben unserer Kindeskinder wird eines sein, das wir heute vorbereiten.

Zitat: Wenn wir umsichtig und weitsichtig vorgehen, können wir unseren Urenkeln und deren Urenkeln eine bessere Zukunft ermöglichen. Aber diese Zukunft ist nicht selbstverständlich. Es gibt keinen Bogen des unvermeidlichen Fortschritts. Kein Deus ex Machina wird die Welt vor dem Sturz in die Dystopie oder ins Nichts bewahren. Das ist unsere Aufgabe. Und unser Erfolg ist keineswegs garantiert.

Immer wieder spricht der Autor seine Leserschaft direkt an, stellt ihr Aufgaben, nimmt sie in die Verantwortung, lässt sie aus mehreren Optionen wählen. An den Beginn des Buches stellt William MacAskill ein spannendes Gedankenexperiment, man solle sich vorstellen, dass man alle Leben leben könnte, die es bisher auf der Erde gab – hintereinander. So käme man auf fast 4 Billionen Lebensjahre.

Zitat: Sie verbringen 20 Prozent ihres Lebens mit Kindererziehung, 20 Prozent auf dem Acker und fast 2 Prozent mit religiösen Ritualen. Etwas mehr als 1 Prozent ihrer Lebenszeit sind Sie an Malaria oder Pocken erkrankt. Sie haben 1,5 Milliarden Jahre lang Sex, und der Zeitraum, in dem Sie gerade ein Kind zur Welt bringen, dauert 250 Millionen Jahre. Außerdem trinken Sie 44 Billionen Tassen Kaffee.

Doch alle bisher auf der Erde gelebten Leben sind nur ein Blinzeln, schreibt William MacAskill, denn die Zukunft ist groß. Der Autor, geboren 1987, lebt in Oxford, wo er auch an der Universität unterrichtet. Vor wenigen Jahren, mit 28, wurde MacAskill bekannt als der weltweit jüngste Philosophieprofessor mit einer Anstellung auf Lebenszeit. Er beschäftigt sich in seinen Studien vor allem mit Fragen der Ethik und der Moralphilosophie. Und er hat den sogenannten Longtermism für sich entdeckt. Eine neue, abstrakte Denkschule, die Generationen von Menschen betrifft, die wir niemals persönlich kennenlernen werden.

Eine Gesellschaft blüht auf, wenn alte Menschen Bäume pflanzen, in deren Schatten sie niemals sitzen werden, zitiert der Autor in seinem Plädoyer für langfristiges Denken ein altes Sprichwort. MacAskill bemüht Metaphern, bezieht sich auf zahlreiche wissenschaftliche Theorien und Modelle, mit deren Hilfe er auf über 300 Seiten Ereignisse und Handlungen analysiert, die seiner Meinung nach die Zukunft beeinflussen können. Das klingt über weite Strecken recht pessimistisch. Etwa, wenn weiterhin zu wenige Maßnahmen gegen den Klimawandel ergriffen werden.

Zitat: Selbst in 10.000 Jahren wären die Temperaturen noch ähnlich hoch, und erst nach Hunderttausenden Jahren würden sie wieder sinken. Bis die Temperaturen wieder ihr heutiges Niveau erreichen, würde so viel Zeit vergehen, dass sämtliche Maschinen, Werkzeuge und Gebäude von heute zerfallen sind, genau wie die Bücher in unseren Bibliotheken, weshalb das von einer Generation zur nächsten weitergegebene Wissen immer weiter zusammenschmelzen könnte.

In den folgenden Kapiteln geht es um den moralischen Wandel und darum, welche Werte denn nun für eine Gesellschaft gut und wichtig sind. Die düsteren Kapitel in Teil 3 haben die Titel Aussterben, Kollaps und Stillstand. William MacAskill macht immer wieder spannende Ausflüge in die Vergangenheit, er spart nicht mit Spekulationen und „Was-wäre-wenn“-Szenarien. Und er endet schließlich mit einem Appell, jetzt zu handeln: Prioritäten zu setzen, Wissen zu erwerben, gemeinsam Gutes zu tun, sich zu engagieren. Der Text verlangt hohe Konzentration und ständiges Mitdenken. Fast ein Viertel des Buches besteht aus weiterführenden Informationen, Quellen und Anmerkungen.

Der bekannte britische Schauspieler und Schriftsteller Stephen Fry attestierte der englischen Originalausgabe im Vorjahr große Klarheit, Einsicht und Vorstellungskraft. Dem kann man sich nur vollinhaltlich anschließen.

Info: William MacAskill Was wir der Zukunft schulden, aus dem Englischen von Jürgen Neubauer (Siedler Verlag 2023)