Der Ruf des Sommers.

Wenn wir jetzt, Mitte August, in den Sommerhimmel schauen, fehlt etwas: Genau, die Mauersegler zischen nicht mehr begleitet von ihrem durchdringenden Kreischen um die Häuserecken. Diese Vögel sind in vieler Hinsicht faszinierend, die Flugkünstler sind überaus ausdauernd, sie legen jedes Jahr zehntausende Kilometer zurück, sie schlafen sogar während des Fluges. Wer sie liebt, tut das mit Haut und Haar, wie Charles Foster, Tierarzt und Autor, der mit Der Ruf des Sommers eine Ode auf diesen Vogel vorgelegt hat.

Charles Foster ist den Mauerseglern verfallen. Und so ist dieses Buch nicht nur eine Liebeserklärung an die pfeilschnellen Vögel, sondern es ist die Geschichte einer Obsession, erklärt der Autor gleich zu Beginn seines Buches:

Zitat: Da es um die Geschichte einer Obsession geht, die von dem Betroffenen selbst geschrieben wurde, ist zwangsläufig auch einiges von mir eingeflossen und nimmt Raum ein, den man für mehr Informationen über Mauersegler hätte nutzen können.

Keine Angst, es finden sich genügend Informationen über diese eleganten Vögel in Fosters Buch. Beginnend bei den Eigenschaften der Tiere, über ihre außergewöhnliche Flugtechnik, die Flugrouten und Rastplätze, bis hin zu Vermehrung auf Aufzucht des Nachwuchses. Mauersegler leben in streng organisierten Kolonien, sie sind treue Tiere, Jahr für Jahr kehren sie an ihren angestammten Nistplatz zurück. Bis zu drei Nestlinge werden über mehrere Wochen betreut, bei der Inneneinrichtung sind Mauersegler nicht besonders wählerisch:

Zitat: Für gewöhnlich besteht das Nest aus einer zufälligen, schlampigen Ansammlung von allem Möglichen, was man sich im Flug schnappen kann: Grasstängel, Lotterielose, tote Schmetterlinge, Löwenzahnsamen und Zeitungsschlagzeilen finden hier neue Verwendung. Die Mauersegler sind keine Weber: für Kunstwerke ist keine Zeit, und sie sind auch nicht notwendig.

Doch vieles ist in Bezug auf diese faszinierenden Tiere noch immer nicht erforscht. Über mehrere Seiten macht sich der Autor Gedanken darüber, wie Mauersegler navigieren, um schließlich zum Schluss zu kommen:

Zitat: Es ist also ganz einfach: Wir wissen schlicht nicht, wie sie es anstellen.

Monat für Monat – beginnend mit Jänner – erzählt Charles Foster über das Leben der Mauersegler. Er reist ihnen ein Jahr lang nach, um sie zu beobachten, nach Italien, Spanien, Israel, Griechenland und Großbritannien. Er erwartet sie, versäumt ihre Rast knapp, folgt ihnen hastig hinterher. Das Kapitel März beginnt zum Beispiel in Palermo.

Zitat: Zwei Wochen lang hatte ich auf sie gewartet, war an der Küste auf und ab gegangen, hatte aufs Meer hinausgespäht, die Ohren gespitzt, ob ich ihre Schreie hörte, und auf Pünktchen gehofft, die der Wind aus Afrika mitbrachte. In der Abenddämmerung war ich auf einen Turm gestiegen, um ihnen näher zu sein, falls sie in der Nacht kämen.

Zarte Illustrationen des englischen Naturmalers Jonathan Pomroy ergänzen Fosters überaus poetischen Text. Dem einen oder der anderen mag des Autors reichhaltiger Schreibstil etwas zu viel des Guten sein. Auf knapp 200 Seiten schreibt sich Charles Foster nicht nur die eigene Leidenschaft von der Seele, er biegt auch hier und da ins Philosophische ab, bleibt aber immer ganz nah bei seinen geflügelten Protagonisten.

Zitat: Noch bevor ich den Morgentee aufgesetzt habe, bin ich trunken von ihrer Erscheinung und werfe mein Netz nach Worten aus und stelle wie üblich fest, dass sie alle erbärmlich versagen, sodass ich den ganzen Tag über stumm bleibe und die Kinder denken, ich sei böse auf sie. Die Welt und der Himmel sind zu voll: Da oben ist kein Platz für meine stammelnden Gedanken.

Wenn man sich erst einmal eingelesen hat, ist das vorliegende Buch eine spannende und immer wieder äußerst vergnügliche Lektüre. Vor allem dann, wenn sich der Autor über sich selbst und seine Passion lustig macht. Mehrmals kommt ein Nachbar zu Wort, der kopfschüttelnd meint, es wären doch nur Vögel – und dem Autor rät, sich therapeutische Hilfe zu holen. Und auch Dichter, die die Vögel einst besungen – der Autor wirft ihnen vor, die Tiere für sich zu vereinnahmen oder gar zu demütigen – bekommen Fosters Spott ab:

Zitat: Wären die Gedichte nicht so offensichtlich und erbärmlich misslungen, wären sie tödlich für die Dichter, ihre Leser und den Planeten. „Null von zehn“, kreischen die Mauersegler, während sie vorbeijagen, außerhalb unserer Sichtweite, Gedanken und Syntax, und diejenigen, die sie hören können, von sich selbst erretten.

Für sie ist immer Sommer, schreibt Charles Foster zu Beginn des ersten Kapitels. Uns haben die Mauersegler seit ein paar Wochen schon wieder verlassen, wir müssen nun wieder viele Monate warten, bis uns eines Tages im Mai das typische Geschrei der Mauersegler aus der Lethargie holt und die Vögel wieder ihre halsbrecherischen Flugkünste zum Besten geben. Und dann ist auch bei uns schon fast wieder Sommer.

Info: Charles Foster Der Ruf des Sommers (Piper Verlag 2023)