Ein Engel in der Hölle von Auschwitz.

Auch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg erscheinen Bücher, die sich mit Lebensgeschichten von Menschen beschäftigen, die in dieser Zeit mutig und widerständig agiert haben. Die Krankenschwester Maria Stromberger, die sich freiwillig nach Auschwitz versetzen ließ, ist so ein Mensch. Der Historiker Harald Walser forscht bereits seit den 1980er Jahren über diese außergewöhnliche Frau. Nun hat er die Ergebnisse seiner Recherche in einer umfangreichen Biografie mit dem Titel Ein Engel in der Hölle von Auschwitz zusammengefasst.

Meinen Reichtum an Liebe habe ich in Auschwitz verstreut, schreibt Maria Stromberger kurz nach dem Zweiten Weltkrieg an den ehemaligen KZ-Häftling Edward Pys. Sie nennt ihn liebevoll Edek, er sie seine zweite Mutter. Als sie im Mai 1957 stirbt, nimmt davon kaum jemand Notiz. Autor Harald Walser schreibt in der Einleitung zu seinem knapp 250 Seiten dicken Buch:
Zitat: Sie war gläubige Katholikin ohne Berührungsängste gegenüber kommunistischen Häftlingen oder nach 1945 gegenüber der KPÖ. Sie half polnischen Nationalisten genauso wie jüdischen Gefangenen. In der Nachkriegsgesellschaft war sie schwer einzuordnen. Sie passte in kein Schema.

Maria Stromberger verfolgte ihren Weg mutig und konsequent. Als letzte Tochter einer kinderreichen Familie im Jahr 1898 in Kärnten geboren, wird bald eine Charaktereigenschaft deutlich: Maria kümmert sich. Die Familie wird Maria zeitlebens besonders wichtig sein. Und Autor Harald Walser nimmt sich Zeit, diese Familie vorzustellen, mit einzelnen Kapiteln für Eltern und alle Geschwister. Mit 14 hat Maria Stromberger den Wunsch Kindergärtnerin zu werden, arbeitet dann jedoch als Köchin. Erst kurz vor Kriegsbeginn lässt sie sich zur Krankenschwester ausbilden. Im Jahr 1940 arbeitet Maria Stromberger im Gaukrankenhaus Klagenfurt, wo die Psychiatrieabteilung eine Drehscheibe der NS-Euthanasie ist, den Morden an psychisch kranken und behinderten Menschen.
Zitat: Es ist kaum vorstellbar, dass Maria Stromberger von dieser Mordaktion an ihrer Arbeitsstelle nichts mitbekommen hat. Für die religiöse und humanistisch eingestellte Frau dürfte das eine zentrale Motivation gewesen sein, gegen das Regime zu wirken. 
Maria Stromberger meldet sich für den Dienst in Kriegslazaretten, wo sie immer wieder Details über diverse Lager erfährt. Schließlich lässt sie sich 1942 ins KZ-Auschwitz versetzen. Ob sie denn den Verstand verloren hätte, dass sie in diese Hölle gehen wolle, so reagiert ihr damaliger Vorgesetzter.

Ihr Wirken im Lager ist durch viele spätere Briefe dokumentiert. Sie pflegt kranke Häftlinge, baut Vertrauen auf, irgendwann schließt sie sich dem Widerstand an.
Zitat: Die Kampfgruppe Auschwitz war bemüht, die Zustände im Lager einer breiten Öffentlichkeit und vor allem den Alliierten zu übermitteln. Und sie war damit zumindest ansatzweise erfolgreich, denn sowohl die BBC als auch Radio Moskau berichteten. Immer mehr Berichte, Instruktionen, Ausbruchspläne, Statistiken über die Sterblichkeit der Häftlinge wurden hinausgeschmuggelt. 

Dazu wurden die Informationen etwa in schmalen Hohlräumen in Kleiderbürsten oder in Zahnpastatuben versteckt. Autor Harald Walser ist auch in den Kapiteln über den Widerstand im Lager und das lange Warten auf das Kriegsende in seiner Recherche äußerst gründlich, erzählt nicht nur vom Werdegang der Protagonistin, sondern portraitiert viele der Beteiligten der Kampftruppe. 

Nach dem Krieg wird Maria Stromberger zunächst als NS-Krankenschwester verhaftet, ihr wird vorgeworfen, sie sei an Tötungen beteiligt gewesen. Briefe und Zeitungsartikel von KZ-Überlebenden, darunter auch Edward Pys, überzeugen die Behörden vom Gegenteil. Wenig später sagt Maria Stromberger gegen den ehemaligen Lagerkommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß, aus, dieser wird im April 1947 in Auschwitz hingerichtet.

Dann wird Maria Stromberger vergessen. Sie passt eben in kein Schema. Denn auch wenn sie sich Sorgen hinsichtlich der politischen Entwicklung in Österreich macht, politisch engagieren will sie sich nie. Am 18. Mai 1957 stirbt Maria Stromberger. Auf ihren Wunsch hin wird ihr Leichnam verbrannt. Ein Umstand, den Autor Harald Walser so kommentiert.
Zitat: Die Feuerbestattung ist […] im Judentum bis heute nicht gestattet, das Verbrennen der Leichen in den Vernichtungslagern war eine zusätzliche Peinigung vor allem strenggläubiger Jüdinnen und Juden. Hat sich Maria also nicht nur im Leben, sondern auch nach ihrem Tod mit den Opfern der Nazis solidarisiert?

Es ist eine vielschichtige und umfangreiche Biografie, die Harald Walser hier vorlegt. Der Autor greift auf zahlreiche Quellen wie Korrespondenz, Dokumente aus Archiven, aber auch auf persönliche Gespräche mit KZ-Überlebenden zurück, die er zu einem eindringlichen Gesamtbild zusammenfügt. Dieses Buch, sensibel und respektvoll geschrieben, würdigt die Lebensgeschichte dieser außergewöhnlichen, bescheidenen und klugen Frau, die in der Hölle von Auschwitz zumindest für einen Funken Menschlichkeit gesorgt hat.

Info: Harald Walser Ein Engel in der Hölle von Auschwitz. Das Leben der Krankenschwester Maria Stromberger (Falter Verlag 2021)