Keine Ostergrüße mehr!

Wir kennen die Schweiz als ein Land, in dem es Schokolade, Käse, Uhren und hohe Berge gibt. Wilhelm Tell, Schweizermesser, Cern. Das wars dann aber auch. Die Geschichte der Schweiz ist hierzulande nicht besonders gut bekannt. Das will der Tiroler Fotograf Lois Hechenblaickner – der im Vorjahr mit seinem Fotobuch über Ischgl den alpinen Tourismus und dessen Auswüchse recht anschaulich dokumentiert hat – als Herausgeber gemeinsam mit Andrea Kühbacher und dem letzten Direktor des Hotels, Rolf Zollinger, nun ändern. Keine Ostergrüße mehr! Die geheime Gästekartei des Grandhotel Waldhaus in Vulpera erzählt anhand von Dutzenden Karteikarten aus rund vier Jahrzehnten von Gästen und Vorlieben, von Ressentiments und Vorurteilen. Und berührt einen wunden Punkt: den Antisemitismus in der Schweiz.

Es muss ein herrliches Hotel gewesen sein, das zeigen die zahlreichen wunderbaren Original-Fotografien: Am Hang über dem Inn steht es majestätisch, der angeschlossene Golfplatz lädt ein zu einer Runde Sport, im Garten wird getanzt. Der Innenraum wirkt mondän, im Speisesaal steht das feine Porzellan bereit, das Entrée ist weitläufig und der Chefconcierge waltet seines Amtes.

Zitat: Die Rezeption war nicht nur Schnittstelle zwischen Gast und Hotel, sondern hier liefen alle Informationen und aller Tratsch aus Restaurant, Bar und Etage zusammen.

Rund 20.000 Gästekarteikarten umfasst das Archiv des Hotels, das der letzte Direktor des Hauses gerettet hat. Denn das Hotel ist 1989 bis auf die Grundmauern abgebrannt. Brandstiftung – der oder die Täter wurden nie gefasst. Das Buch beginnt recht dezent, mit eher unauffälligen Gästen und positiven Vermerken auf den Karteikarten. Von: Nette Leute – sie etwas crazy über: Außerordentlich netter und humorvoller Gast bis hin zu: Glanzgäste!

Die Kundschaft ist international, hier logieren Adelige und Diplomaten, Stars aus Film und Theater. Verleger, Modeschöpfer, Politiker: Herr und Frau Kortner vom Deutschen Theater, der österreichische Finanzminister außer Dienst Joseph Redlich und der berühmte Kammersänger Richard Tauber ebenso wie der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt.

Zitat: Hinter der emotionalen Wärme, die der Gast wahrzunehmen schien, steckte auch Kalkül. Gäste im Waldhaus wurden diskret beobachtet, mitunter sogar bei Telefonaten belauscht und ihre Eigenheiten auf den Karteikarten vermerkt.

Und bei vielen Gästen halten sich die Hotelangestellten mit Kritik nicht zurück. Denn auch im Grandhotel gibt es Zechpreller und Hochstapler, Gäste, die künftig nicht mehr willkommen sind. Etwa dieser Herr: Parkiert seinen Alfa Romeo neben Villa Post und weckt mit seinem Start um 6 Uhr die Gäste! Bei Damen ist man auch nicht zimperlich, von Sie spinnt! über Alte Beißzange bis hin zu Hysterisches Frauenzimmer ist alles dabei. Recht speziell ist auch folgender Eintrag eines Herrn aus Düsseldorf: Reist vorzeitig weg, da er seine Frau bei Dr. Meier antrifft, die in der Villa Maria wohnt. Großer Schreck, worauf er mit seiner Freundin Edith, die er als Ehefrau ausgab, verreist. Je lästiger ein Gast, desto drastischer die Konsequenz. Wer sich nicht benehmen kann, bekommt auch keine Karte mit besten Ostergrüßen des Hotel Waldhaus mehr.

Je weiter man durch dieses dicke Buch blättert, desto mehr vergeht einem jedoch das Lachen über die Kommentare der Hotelangestellten. Dann nämlich, wenn ganz offener Antisemitismus aus den Karteikarten spricht. Aufdringlicher Jude ist da zu lesen oder Juden auch schon äußerlich, frech und schmutzig. Und schließlich sogar Stinkjude. Besonders heftig sind diese Vermerke im Zusammenspiel mit den kurzen biografische Notizen, die die Herausgeber zu einigen Gästen recherchiert haben. Viele wurden deportiert und ermordet. Und hinter dem lapidaren Hinweis 1939 parti, also abgereist, verbergen sich Geschichten von Vertreibung und Ermordung. Etwa auf der Kartei von Herrn und Frau von Kuffner-Dreyfus aus der Familie Kuffner, die den Wiener Bezirk Ottakring geprägt hat, und aus deren Familie zahlreiche Menschen dem NS-Regime zum Opfer gefallen sind. Leider finden sich im wenige Zeilen langen biografischen Hinweis gleich zwei Fehler, erstens die Schreibweise des Namens Dreyfus – der auf der Hotel-Karteikarte korrekt geschrieben ist – und zweitens liegt die Ottakringer Brauerei – die Familie Kuffner neben anderen Brauhäusern über Jahrzehnte bis zur zwangsweisen „Arisierung“ betrieben hat – wie der Name schon sagt in Ottakring und nicht in Hernals.

Die Hotel-Kartei reicht bis in die 1950er Jahre, und auch nach dem Krieg logieren hier jüdische Gäste. Nicht immer zur Freude des Personals, die Kritik ist nun aber codiert.

Zitat: Wie in einer Hauben- oder Sterne-Kategorie gibt die Anzahl der „P“ Aufschluss darüber, wie „jüdisch“ die Gäste wahrgenommen wurden. Nur eben umgekehrt: Je mehr „P“, umso negativer die dabeistehenden Bemerkungen.

Von einem P bis zu sieben Ps wurden an die Gäste vergeben. 

Die Karteikarten sind nach Themen geordnet, ihnen ist ein Gespräch zwischen Lois Hechenblaickner und dem letzten Direktor des Hotels, Rolf Zollinger, vorangestellt. Ein Glossar mit Ausdrücken aus der Hotelfachsprache ist praktisch, der historische Überblick gerät jedoch fast zu detailreich. Man verliert sich ein bisschen im Wust an Jahreszahlen und Namen, der Beitrag ordnet die Karteikarten aber dennoch gut in die Schweizer Geschichte ein. Und spannend ist die Erzählung des Schweizer Schriftstellers Martin Suter, der aus den Fakten Fiktion macht und das Waldhaus literarisch wieder auferstehen lässt.

Info: Lois Hechenblaickner, Andrea Kühbacher, Rolf Zollinger (Hg.) Keine Ostergrüße mehr! Die geheime Gästekartei des Grandhotel Waldhaus in Vulpera (Edition Patrick Frey 2021)