Unterwegs nach Xanadu.

Wenn wir reisen und fremde Länder und Kulturen erkunden, sind oft die beglückendsten Momente jene, in denen wir in Kontakt mit den dort lebenden Menschen kommen. Bei Begegnungen und in Gesprächen lernen wir meist viel mehr über Gebräuche, Traditionen und Lebensumstände als beim Sightseeing und Abfotografieren von Sehenswürdigkeiten. Auch in Elmar Schenkels Buch „Unterwegs nach Xanadu“ geht es um schicksalshafte Begegnungen, die die Beziehungen zwischen Ost und West geprägt haben.

Der Ferne Osten – immer schon ein sprudelnder Quell für Neugier, Märchen und Träumerei. Autor Elmar Schenkel – selbst ruheloser Reisender mit starker Affinität zu Alchemie und Mythenforschung – lässt seine Leserinnen und Leser an zahlreichen spannenden, irritierenden oder skurrilen Begegnungen zwischen Ost und West teilhaben, die die wechselseitige Kulturgeschichte zweier so verschiedener Welten lebendig werden lassen.

Zitat: Missverständnisse und Auslassungen, vorgefertigte Ansichten, Ausblendungen und Übertreibungen charakterisieren das Verhältnis der Kulturen untereinander, generell, aber insbesondere wohl zwischen Asien und dem Westen. Wie viel wurde hier hineinprojiziert und hineingeträumt, verworfen, kritisiert, bewundert.

Als auslösendes Moment für das erblühende Interesse an östlichen Kulturen in der westlichen Welt nennt der Autor die Weltausstellung in Chicago im Jahr 1893. Entscheidend ist der letzte dort abgehaltene Kongress, das Weltparlament der Religionen. Dort spricht Swami Vivekananda, ein junger Mann aus Indien, vom Hinduismus. Der charismatische Mann zieht alle in seinen Bann. 

Zitat: Er hatte ein enormes Gedächtnis und konnte ein Buch auswendig, wenn er es nur einmal gelesen hatte, […] Mathematik war nicht sein Gebiet, dafür Stockfechten, Reiten, Kochen und Zaubern. Er hielt nichts vom Aberglauben und verabscheute das Kastensystem.

Und so beginnt der Autor sein Buch auch mit dem Kapitel über Indien. Er erzählt von den Philosophen Friedrich Nietzsche und Arthur Schopenhauer, die inspiriert wurden, genauso wie von der österreichischen Kunsthistorikerin Stella Kramrisch, die an der Universität von Kalkutta lehrte. Weitere große Kapitel beschäftigen sich mit anregenden Begegnungen in China und Japan. Zweimal trifft man in diesem Buch den Schriftsteller Hermann Hesse, in dessen Familie Indien eine große Rolle spielte – sein Roman Siddharta ist vom Buddhismus inspiriert. Aber auch von China wurde Hesse stark beeinflusst. Im seinem Roman Das Glasperlenspiel ist einer der ältesten klassischen chinesischen Texte, das Yijing, das Buch der Wandlungen, von Bedeutung.

Zitat: Die betulich-deutsche Geschichte des Josef Knecht, der sich im Laufe seines Lebens zu einem Ordensmeister des Glasperlenspiels emporarbeitet, um am Ende doch nein zu sagen, wird begleitet von vielen chinesischen, vor allem taoistischen Bildern. […] Mehrmals entscheidet das Orakel des Yijing, ob Knecht einen bestimmten Schritt tun soll.

Bei all der in diesem Buch betriebenen Detailfreude und Lust am Fabulieren, kommen bei Elmar Schenkel aber auch Humor und Ironie nicht zu kurz. Etwa bei der Geschichte über Madame Blavatsky, deren Lebenslauf der Autor eine Pirouette nennt, zwischen Abenteuer und Scharlatanerie. Von einer wohl eher eingebildeten Reise nach Tibet bleibt eine spirituelle Verbindung mit einem buddhistischen Meister.

Zitat: Ihr erstes Buch, Iris entschleiert, hatte sie inzwischen wegen Fehlerhaftigkeit verworfen. Selbst der Meister aus dem Himalaya, der sie telepathisch mit Gedanken versorgte, war nicht besonders begeistert gewesen. Nun gut, viele Botschaften geraten auch bei Telepathie auf die falsche Bahn.

So verschieden die Menschen und Ansichten zwischen Ost und West auch sind, Elmar Schenkel erzählt kenntnisreich und ohne zu werten über neugierige Forscher und theosophische Pioniere. Kurzweilig geschrieben und mit vielen Unterkapiteln, kann man dieses Buch an beliebiger Stelle aufklappen und wird immer wieder aufs Neue überrascht. Hier spirituelle Erleuchtung, dort wissenschaftliche Erkenntnis. Auch wenn Kolonialismus und Kriege die Beziehungen immer wieder belastet haben – Yoga, Zen-Praktiken oder die Kunst des Haiku-Dichtens sind Inspirationsquellen der westlichen Welt geworden. Die Faszination für den Fernen Osten begann mit Marco Polos Bericht über seine angebliche Reise in die legendäre und geheimnisumwitterte chinesische Stadt Xanadu im 13. Jahrhundert. Dieses Buch sagt: Wer offen ist für Neues und sich auf Begegnungen einlässt, der findet vielleicht sein eigenes Xanadu.

Info: Elmar Schenkel Unterwegs nach Xanadu. Begegnungen zwischen Ost und West (S. Fischer 2021)