Jetzt kann man die Tage bis zur
Fußball-Weltmeisterschaft tatsächlich schon fast an zwei Händen abzählen…
Brasilien macht sich bereit. Aktive und Fans haben schon seit Monaten
Herzklopfen, nun ist es bald soweit, und sie können mit ihren Mannschaften
mitfiebern. Um die letzten Tage bis zum Anpfiff des Eröffnungsspiels am 12.
Juni in São Paulo zu überstehen, empfehlen wir heute zwei Bildbände über den
Fußball in Brasilien. Ein Buch kommt vom Wiener Journalisten und Fotografen
Alois Gstöttner, das andere ist eine Sammlung von Fotos diverser Fotografen,
herausgegeben von Reinaldo Coddou H.
So muss ein Bildband sein:
großformatig und dick. Mit vielen, vielen Fotos. Reinaldo Coddou H. hat für
sein Buch mit dem Namen O Jogo Bonito,
das schöne Spiel, tatsächlich einige der schönsten Fotos zusammengetragen, die
es zum brasilianischen Fußball gibt. Die Serie über das Maracanã-Stadion etwa,
die wie in einem Zeitraffer die Entwicklung dieses Fußball-Symbols erzählt.
Oder jene über Fußball im Alltag der Brasilianer, der Fotograf Caio Vilela ist
dafür quer durch das Land gereist. Diese Strecke ist wohl eine der
eindringlichsten und ehrlichsten. Brasilien-Liebhaber werden die
portugiesischen Titel der einzelnen Kapitel mögen: „Craques eternos“ zum
Beispiel, die unsterblichen Sportskanonen, wie Garrincha, Zico und Sócrates,
oder „O Rei“, der König, so heißt das Kapitel über Pelé. Zum Schmunzeln ist der
Titel „Não te da asas“, das verleiht dir keine Flügel – ein ironischer Titel zur
Red-Bull-Spielerakademie.
Kurz wird auch in diesem Buch die
aktuelle Situation mit ihren Protesten und Demonstrationen angesprochen - die
Armut, die Gewalt und die Korruption. Im Vorwort schreibt der brasilianische
Journalist Juca Kfouri:
Zitat: Die Verbandsstruktur des brasilianischen Fußballs ist extrem reaktionär,
korrupt und korrumpierend. Sie ist modernisierungsresistent und sie steht im
Zentrum unzähliger Skandale. […] Das erklärt auch die Situation, in der sich
der heimische Fußball aktuell befindet. Obwohl es in einem Land mit fast 200
Millionen Einwohnern natürlich eine hinreichende Menge an Fußballfans gibt,
exportiert Brasiliens Fußball Arbeitskraft, verkauft seine Künstler und gewährt
hoch verschuldeten Klubs Unterschlupf.
Doch dann geht es in diesem Buch
fast ausschließlich um die Faszination Fußball. Ob in Farbe oder in
Schwarz-Weiß: hier wird gedribbelt bis zum Wadenkrampf, der Schweiß fließt in
Strömen und Pelé steht wie ein Supermodel im glänzend-türkisen Hemd vor einem
mint-farbenen Mercedes im Jahr 1966. Meist braucht es keinen Kommentar, denn
diese Bilder sprechen für sich, nur bei wenigen Kapiteln findet sich ein
Begleittext.
Nicht wirklich geglückt ist die
Grafik, der Einband wirkt doch etwas billig und die vielen verschiedenen
Schriftarten könnten so manchem Grafiker schlaflose Nächte bereiten. Trotzdem: O Jogo Bonito ist ein Buch, in dem man
immer wieder gerne blättert, jedes Mal entdeckt man ein neues Detail, ein neues
Gesicht, man taucht ein in die Stadionatmosphäre, man hört die Fans singen, man
sieht die Brasilianer leiden und hoffen, verzweifeln, lachen und weinen.
Ganz anders ist das Buch des 1975
geborenen Fotografen und Autors Alois Gstöttner namens Gooool do Brasil – Kartografie einer nationalen Leidenschaft. Auch
wenn Gstöttners Fotos gegen die kontrastreichen und farbgesättigten Bilder im
zuvor beschriebenen Bildband zuerst flau und unscheinbar erscheinen, so ist es
doch diese besondere Ästhetik, diese matte Farbigkeit, die dem Buch zu einem
stimmigen Gesamteindruck verhilft. Schrift, Bilder und Inhalt passen perfekt
zusammen. Das Format ist jedoch gewöhnungsbedürftig: Es ist ein Mittelding
zwischen Taschenbuch und Quartheft. Und es ist eigentlich auch kein klassischer
Bildband, es ist ein Buch über den brasilianischen Fußball – mit sehr, sehr vielen
Bildern. Daneben gibt es lange Textpassagen: Es sind persönliche Erlebnisse, die
Alois Gstöttner da aufgeschrieben hat, etwa über das Treffen mit dem
politischsten aller brasilianischen Fußballer:
Zitat: Sócrates ist Vater von sechs Söhnen und arbeitet als Autor, Kolumnist
und Fernsehkommentator. […] Das vernarbte Gesicht und der Vollbart eines linken
Rebellen verleihen ihm die Aura eines griechischen Philosophen, die sein Name
so nahelegt. Seine Ausdrucksweise ist gewählt, er spricht langsam und mit
Nachdruck: „In einer klassischen Arbeitsbeziehung, vor allem zur Zeit der
Militärdiktatur, hatte der einfache Arbeiter keine Möglichkeit, gehört zu
werden. […] Wir haben diesen Prozess bei Corinthians umgekehrt. Wir haben uns
Rechte erkämpft, die bis heute selten sind. […] Man braucht keine Partei, um
eine Masse zu mobilisieren. Man braucht nur Ideen und Mut, um ein Land zu
verändern.“
Immer wieder wirft Gstöttner einen
Blick auf Politik, Wirtschaft und Kultur. Er erzählt Geschichten, denn eines
hat Alois Gstöttner gleich zu Beginn der Recherchen entdeckt: Über den Fußball
kommt man sofort mit allen ins Gespräch. Spannend ist die Reportage über den
Fußball im Gefängnis oder die Suche nach dem Spielfeld, auf dem das allererste
Fußballspiel auf Brasiliens Boden stattgefunden hat. Noch immer wird dort
gekickt, in einer recht zwielichtigen Gegend, in der sich Drogenbanden immer
wieder bekämpfen.
Schade ist nur, dass doppelseitige
Fotos in diesem kleinformatigen Buch nicht so gut zur Geltung kommen, denn auch
wenn die Bindung recht stabil erscheint, will man das Buch dennoch nicht derart
brutal auseinanderklappen. Alles in allem ein sehr sympathisches Buch, das
nicht nur Fußballfans gefallen wird.
Reinaldo Coddou H. (Hrsg.) O Jogo Bonito, Brasilien- eine
fußballverrückte Nation in Bildern (Spielmacher, 2013)
Alois Gstöttner Gooool do Brasil, Kartografie einer
nationalen Leidenschaft (Club Bellevue, 2014)