Mit Montaigne auf Reisen.

Vor zwei Jahren, im Sommer 2020, ist der französische Philosoph und Autor Gaspard Koenig hoch zu Ross durch halb Europa geritten und hat sich damit auf die Spuren des Philosophen Michel de Montaigne begeben. Der nämlich ritt die gleiche Strecke im Jahr 1580. 2.500 Kilometer hat Koenig zurückgelegt, 20 Wochen war er unterwegs. Und hat dabei viel über sich selbst, die Menschen, die er getroffen hat und über Europa im Allgemeinen erfahren.

Bevor sich Gaspard Koenig auf die Reise macht, muss er viel lernen. Eigentlich muss er viel ver-lernen, so formuliert er es – denn nur so kann er sein Pferd kennen-lernen. Die graue Stute namens Destinada wird ihm über weite Strecken die einzige Gefährtin sein. Sie wird ihn und sein Gepäck tragen, dafür wird er für sie sorgen, sie füttern und pflegen. Ein Glück, dass Destinada eine Eigenschaft besitzt, die dem Autor Sicherheit gibt: Gemütsruhe.

Zitat: Nichts macht Destinada Angst, weder Fasane noch Lastwagen, weder Abdeckplanen noch Hundegebell. Sie ist lebhaft, aber unsensibel. Oft sieht man Reiter, die versuchen, ihr Pferd durch Liebkosungen oder gute Worte zu beruhigen, die meiste Zeit vergeblich. In unserer Beziehung wird es eher umgekehrt sein. In den schlimmsten Momenten konnte ich darauf zählen, dass sie mir Zuversicht gibt.

Es ist ein Reisebuch der etwas anderen Art. Denn bei dieser Reise geht es nicht ums Ankommen, auf dieser Reise ist nichts selbstverständlich. Nahe Bordeaux, in Montaignes Turm, wo sich einst die Bibliothek des französischen Philosophen befand, beginnt für Gaspard Koenig das Abenteuer. Als er über die seit Jahrhunderten abgetretenen Stufen des Turms geht, ist er kurzzeitig von Gefühlen überwältigt.

Zitat: Vor auf den Tag genau vierhundertvierzig Jahren, am 22. Juni 1580, kam Montaigne diese Stufen herunter, um sich auf sein Pferd zu schwingen und nach Rom aufzubrechen. In einigen Stunden werde ich das Gleiche tun und der Route folgen, die der Philosoph in seinem Reisetagebuch festgehalten hat. Ich höre meine Stute auf den Pflastersteinen des Hofes mit den Hufen scharren.

Gut zwei Drittel des 550 Seiten dicken Buches spielen in Frankreich. Gaspard Koenig lässt sich Zeit: beim Reisen, beim Beobachten, beim Zuhören. Er fragt nicht neugierig nach, sondern lässt die Menschen erzählen – genauso wie Montaigne es damals bei seiner Reise getan hat. Diese Gespräche sind voller Respekt, Interesse und viel Humor. Der Autor ist nicht nur ein Denker, er ist auch ein großartiger und poetischer Erzähler.

Doch nicht immer geht alles glatt. Durch Österreich wird nicht geritten, das sei auf den meisten Straßen verboten, schreibt der Autor. Doch für die Durchreise sind Papiere notwendig, vor allem ein ganz bestimmtes Zertifikat. Das gilt es in Deutschland zu beantragen –Koenig steht einer überaus hartnäckigen Veterinärin und der deutschen Bürokratie gegenüber. Dass der Autor hier einen Vergleich mit SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann bemüht, ist jedoch ziemlich platt. Die Episode geht gut aus, das Zertifikat wird ausgestellt.

Zitat: Es ist einigermaßen frustrierend, dass mich kein einziger Zollbeamter nach diesem Zertifikat fragen wird, denn die österreichischen und italienischen Grenzen werden kaum überwacht. Ich bewahre es dennoch auf, als kostbaren Beweis dafür, dass Europa noch nicht jener vielgerühmte Raum des freien Verkehrs ist.

Per LKW geht es durch Österreich, in den Sattel steigt Gaspard Koenig erst wieder in Italien, das ihm auf den letzten Kilometern noch viel abverlangt. Geschlossene Schranken, Viehgitter, zu steile Abhänge. Und doch trifft er immer wieder auf Menschen, die dem fremden Reiter und seinem Pferd spontanes Vertrauen entgegenbringen und ihre Herzen und Türen öffnen. Gegen Ende des Buches schreibt Gaspard Koenig:

Zitat: Ich bemerke, wie sehr dieser Ritt von viereinhalb Monaten meinen Geist in Beschlag genommen hat, obwohl er der Langsamkeit gewidmet war. Es gab keinen Leerlauf, jeder Moment war lebendig. Der Tag, an dem ich aufgebrochen bin, erscheint mir so weit entfernt wie meine frühe Kindheit, durch eine Art Nebel verunklärt; was war ich damals naiv und pausbäckig!

Im Buch selbst gibt es außer am Schutzumschlag keine Fotografien der Reise. Auf der Homepage des Autors findet sich jedoch eine interaktive Landkarte mit vielen Informationen zur Route, inklusive zahlreicher Bilder. Denn Gaspard Koenig hofft, dass sich andere Reisende in den Sattel schwingen, es ihm gleichtun und sich von Umwegen und Zufällen leiten lassen. Schon Montaigne schrieb in seinem Reisetagebuch: Wenn er sein Leben nach seinem Belieben führen könnte, dann würde er sich dafür entscheiden, es mit dem Arsch im Sattel zu verbringen.

Info: Gaspard Koenig Mit Montaigne auf Reisen. Abenteuer eines Philosophen zu Pferde, aus dem Französischen von Tobias Roth (Galiani Berlin 2022)

https://www.gaspardkoenig.com/montaigne-copy