Das Wort "Steueroase" fällt in
Österreich meist gemeinsam mit dem Namen unseres ehemaligen Finanzministers,
Karl-Heinz Grasser. Er verfügt über ein Netzwerk an Stiftungen und Tochtergesellschaften
in Staaten wie Zypern oder Panama, ob er dort Steuern hinterzogen hat, ist
freilich noch nicht geklärt, es gilt die Unschuldsvermutung. In Deutschland ist
Uli Hoeneß der bekannteste Steuersünder. Doch was entgeht den Staaten durch die
so genannten Steueroasen? Dort, wo die ganz Reichen ihr Geld bunkern, also in
der Schweiz oder in Luxemburg, sollen Milliarden Euro liegen. Würden diese
Beträge rechtmäßig versteuert, könnte so mancher Staat seinen Haushalt
sanieren. Das schreibt Gabriel Zucman in seinem Buch Steueroasen. Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird. Er
schlägt darin radikale Lösungen für das Dilemma vor.
Es ist ein unscheinbares Buch,
dünn, nur 119 Seiten, am Cover ist ein leerer Tresor zu sehen, der Titel des
Buches ist weder reißerisch noch besonders kreativ. Doch davon sollte man sich
nicht täuschen lassen. Denn der Inhalt des Buches des erst 27-jährigen Wirtschaftswissenschaftlers
und Juniorprofessors an der renommierten London School of Economics, Gabriel
Zucman, ist absolut lesenswert, hochinteressant und auch für Neulinge auf dem
Gebiet größtenteils verständlich.
Zitat: Die Steueroasen bilden den Kern der europäischen Krise, aber
niemand weiß so recht, wie man gegen sie vorgehen soll. Die einen halten den
Kampf von vornherein für verloren. Für sie sind die Offshore-Zentren von London
bis Delaware, von Hongkong bis Zürich wichtige Rädchen im Getriebe des
Finanzkapitalismus, die von den Reichen und Mächtigen der ganzen Welt genutzt
werden. […] Für die anderen ist der Kampf schon so gut wie gewonnen. Nach ihrer
Ansicht werden das entschlossene Vorgehen der Staaten und der Organisation für
wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit sowie die zahlreichen Skandale
und Enthüllungen schon bald für den Niedergang der Steueroasen sorgen.
Doch Zucmans Buch geht einen anderen
Weg. Beide Sichtweisen seien falsch, sagt der Autor. Und dennoch gebe es
Lösungen. Doch dazu später mehr. Denn zuvor gibt der Autor einen Einblick in
die Geschichte, wie Steueroasen entstehen. Und warum? Und vor allem wo? Am
Beispiel der Schweiz, in der laut Zucmans Berechnungen rund 1800 Milliarden
Euro an Auslandsvermögen gebunkert sein sollen, erklärt er Zusammenhänge und
Hintergründe. Er wertet von ihm selbst gesammelte Daten und öffentlich
zugängliche Fakten aus, und er rechnet vor:
Zitat: Das Entscheidende ist, dass es sich um enorme Reichtümer
handelt, die unerträgliche Steuerverluste bewirken, und dass es durchaus
möglich ist, dem sofort ein Ende zu setzen. Gegenwärtig kostet die
Steuerhinterziehung Ultrareicher die Staaten weltweit alljährlich 130 Milliarden
Euro.
In anderen Worten: viele Staaten
könnten ihre Haushaltsprobleme lösen, wenn alles ehrlich versteuert würde.
Doch wie kann eine Lösung aussehen?
Der Autor schlägt einen Aktionsplan vor, der auf drei Achsen beruht: einem
weltweiten Grundbuch für Vermögen, der Einführung einer globalen
Vermögensbesteuerung und einer radikalen Reform der Körperschaftssteuer. Damit
das alles aber funktionieren kann, brauche es noch zwei Zutaten: Zwang und
Kontrolle. Für die Schweiz hieße das:
Zitat: Nach […] meinen Berechnungen haben Deutschland, Frankreich und
Italien das Recht, auf die aus der Schweiz eingeführten Waren einen Zoll von 30
Prozent zu erheben.
Strafzölle also, und zwar in der
Höhe, in der das Land laut Zucman vom geheimen Offshore-Geld profitiert. Die
Kosten würden die Einnahmen übersteigen, die die Schweizer Banken aus der
Steuerflucht erzielen, das Geschäft würde sich nicht mehr rentieren. Und für
Luxemburg fällt der Lösungsansatz noch um einiges radikaler aus, denn Zucman
stellt die Frage:
Zitat: Muss man Luxemburg aus der Europäischen Union ausschließen?
Der Autor hält diese Frage für
durchaus angebracht, denn das Land, das im Jahr 1957 die Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft mitbegründete, habe mit dem heutigen Luxemburg nichts
mehr zu tun:
Zitat: Luxemburg ist der Inbegriff der Steueroase, die in sämtlichen
Stadien der Vermögensverwaltung präsent ist und von allen anderen Finanzplätzen
genutzt wird.
Dass Jean-Claude Juncker, ehemals
Regierungschef des kleinen Landes und damals verantwortlich dafür, dass das
Luxemburger Bankenwesen vor Angriffen von außen geschützt wurde, jetzt zum
EU-Kommissionspräsidenten gewählt wurde, mache die Situation nicht einfacher, meinte
Zucman kürzlich in einem Interview der Online-Ausgabe der ZEIT.
Es klingt alles recht logisch, was
Zucman schreibt, und eigentlich wäre es kein großer Aufwand, seine Ideen
umzusetzen. Dennoch gab es auch viel Kritik. So meinte etwa der Präsident des
Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim, Clemens Fuest, in
einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die Berechnungen
Zucmans hätten einen entscheidenden Mangel. Denn dieser nehme an, dass 80
Prozent des Geldes in Steueroasen nicht versteuert wird, das könne aber nicht
nachgewiesen werden. Denn nicht jeder, der sein Geld im Ausland bunkert, sei
automatisch ein Steuerflüchtling, oft geschehe das aus familiären Gründen oder
aus Fragen der Sicherheit.
Zucman selbst ist sich wohl
bewusst, was er da fordert. Zu radikal, zu revolutionär und zu idealistisch sind
seine Ansätze, es gibt kaum Chancen auf Realisierung. Europa sei in eine
endlose Krise geraten, doch den Regierungen fehle es an Mut und
Entschlossenheit, meint der Autor in seinen Schlussbemerkungen. Und er
appelliert an die Zivilgesellschaft, sich zu mobilisieren, sich zu wehren. Und
genau deshalb sollte der brave Steuerzahler dieses Buch lesen. Es erweitert den
Horizont schlagartig, erklärt Zusammenhänge, die einem bisher nicht bewusst
waren, und es sorgt dafür, dass man den Mächtigen und Reichen, die sich gerne
selbst eine weiße Weste attestieren, bei ihren politischen und finanziellen Machenschaften
noch ein wenig mehr Misstrauen als bisher entgegenbringt.
Gabriel Zucman Steueroasen. Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird. Aus dem
Französischen von Ulrike Bischoff (Suhrkamp, 2014)