Kontext, 28. Februar 2014
Nach seinem 2006 veröffentlichten
Buch über die Mafia, mit dem Titel Gomorrha, liegt
nun Roberto Savianos neues Buch namens Zero Zero Zero – Wie das
Kokain die Welt beherrscht in deutscher Übersetzung vor. Wieder
taucht der 34-jährige italienische Autor tief in das von ihm gewählte Thema
ein. Es geht um die Abgründe der globalen Drogenkriminalität, um die
Zusammenhänge zwischen Kapitalismus und Drogenhandel. Saviano nimmt seinen
Leser mit auf eine fulminante Reise nach Mexiko, Guatemala, Italien, Russland.
Er berichtet vom Anbau, Vertrieb und Konsum des weißen Pulvers.
Seit Erscheinen seines
Mafia-Buches lebt Roberto Saviano ein eingeschränktes Leben. Er braucht
ständigen Polizeischutz, wechselt immer wieder seinen Aufenthaltsort. Dennoch hat
es der 34jährige für sein neues Buch in Sachen Recherche keine Mühen gescheut, er
hat einige seiner Protagonisten besucht, war viel unterwegs in der Welt, in der
Unterwelt.
Doch es holpert etwas,
bis sich der Leser in Savianos Stil eingelesen hat. Bereits das erste Kapitel,
in dem der Autor auf vier Seiten aufzählt, wer aller seiner Ansicht nach zu
Kokain greift, ist doch etwas marktschreierisch geraten. Denn laut Saviano
schnupft fast jeder: Der Busfahrer, die Sekretärin, der Chef, die Geliebte des
Chefs, die Kassierin, der Physiotherapeut, der Politiker, der Hausmeister, der
Tierarzt. Wahrscheinlich auch der Leser selbst, vermutet der Autor.
Die Kapitel, in denen
Saviano im Reportagestil über Anbau und Vertriebspraxis im Kokainhandel
erzählt, lesen sich dann besser. Es geht um die Kartelle in Mexiko und Guatemala, die Mafia in Italien,
die Organisationen in Russland.
Zitat: In
Mexiko fängt alles an. Die Welt, in der wir heute leben und atmen, das ist
China und Indien. Aber auch Mexiko. Wer Mexiko nicht kennt, kann nicht
verstehen, wie heute auf diesem Planeten Reichtum generiert wird. Wer nicht auf
Mexiko schaut, wird niemals das Schicksal der Demokratien begreifen, die von
den Drogenhandelsströmen umgestaltet wurden. Wer sich Mexiko nicht ansieht,
findet nicht die Spur, um den Geruch des Geldes zu erkennen. Er wird nicht
verstehen, wie der Geruch des kriminellen Geldes als Wohlgeruch erscheinen
kann, der nichts zu schaffen hat mit dem Modergestank von Tod, Elend, Barbarei
und Korruption.
Schonungslos berichtet
Roberto Saviano über grausame Verbrechen, über Racheakte und Folter. Die
Begegnungen mit Drogenkurieren und einem ehemaligen Elitesoldaten in Guatemala,
der offenbar für mexikanische Drogenkartelle gemordet hat, erscheinen
authentisch und verfehlen ihre Wirkung nicht.
Doch allzu oft rutscht Saviano
sprachlich ab, wird pathetisch und schwülstig. Ein Beispiel:
Zitat: Angst
und Respekt gehen Hand in Hand, es sind zwei Seiten einer Medaille: der
Medaille der Macht. Die Medaille der Macht hat eine glänzende, helle und eine
stumpfe, dunkle Seite. Der Blutdurst flößt den Gegnern Angst ein, nicht
Respekt, jene strahlende Patina, die einem jede Tür öffnet, ohne dass man sie
einschlagen muss. Alles ist nur eine Frage der Haltung: Um ganz nach oben zu
kommen, musst du den Eindruck vermitteln, dass du ganz oben bist.
Pathos und ein
bedenklicher Hang zu Verschwörungstheorien schwingen in weiten Teilen dieses
Buches mit. Die Warnung vor einer Weltherrschaft der Drogenkartelle wirkt zum
Teil fast hysterisch. Die Welt sei in Gefahr, warnt Saviano, die Wirtschaft
werde vom Kokainhandel beherrscht. Da wünscht man sich mehr Objektivität und
Nüchternheit. Doch Saviano schreibt wie im Drogenrausch, wie ein Besessener, es
ist ein atemloser Redefluss, der ob der zahlreichen Namen, Orte und
Verwicklungen für den Leser oftmals ermüdend und verwirrend wirkt. Mehr Distanz
würde man sich auch in jenem Kapitel erwarten, in dem Saviano die zahlreichen
Namen aufzählt, die es auf der ganzen Welt für Kokain gibt, von Charlie und
C-dust über Paradise, Polvo Feliz und Happy Powder bis hin zu Fast White, Lady
Snow und Mama Coca.
Zitat: Wie etwas
Heiliges, das man nicht beim Namen nennen darf, wie die heimliche Geliebte, die
dir nicht mehr aus dem Sinn geht,
wie eine leere
Fläche, auf die sich jedes Wort eintragen lässt:
So ist das, was
du suchst, beschwörst, tausendfach benennst.
Jeder Name ist
Wunsch, Verlangen, Metapher, ironische Anspielung.
Ist Spiel und
Verzweiflung. Das, was du begehrst,
an jedem Ort,
zu jeder Stunde.
Fast zärtlich geschrieben, fast eine Liebeserklärung.
Über weite Strecken gerät
das Buch immer wieder zu einer Art Saviano-Psychogramm. Der Autor zweifelt an
sich, seiner Mission, seinen Erwartungen. Er fragt unter anderem, ob sich die
Beschäftigung mit diesen Themen, also Drogen, Gewalt, Verbrechen, überhaupt
lohnt. Er spricht dabei von oder mit einem „Du“, ob er sich selbst oder den
Leser meint, ist nicht immer klar:
Zitat: Vielleicht
glaubst du, wenn du dich mit diesen Dingen beschäftigst, könntest du die Welt
erlösen. Gerechtigkeit wiederherstellen. Zum Teil stimmt das vielleicht sogar.
Aber eventuell - und das gilt insbesondere für diesen Fall - wird dir bewusst,
dass du nur ein kleiner Superheld bist, ohne die geringste Macht. Ein bemitleidenswerter
Mensch, der Kräfte überschätzt, weil ihm nie ihre Grenzen aufgezeigt wurden.
Wirkliche Antworten gibt
Saviano nicht, er überlässt es dem Leser, sich sein eigenes Bild
zusammenzubasteln.
Freilich, es geht in
diesem Buch um eine Droge, um Gewalt und Tod, detailreich werden Folterungen,
Tötungen und Racheakte zwischen den Drogenkartellen beschrieben, wieder und
wieder sieht sich der Leser mit zerstückelten Leichen und geschändeten Körpern
konfrontiert. Das ist erschütternd, und die Zahlen sprechen eine deutliche
Sprache: Im Februar 2013 erklärte etwa die mexikanische Regierung, dass der
Drogenkrieg innerhalb von sechs Jahren rund 70.000 Menschen das Leben gekostet
hat. Die Dunkelziffer ist weitaus höher. Interessant sind auch die Kapitel über
die wirtschaftlichen Aspekte, die Aktienschiebereien an der Wall Street oder im
Londoner Bankenviertel.
Im letzten Kapitel
driftet Saviano aber wieder weit ab, sagt, er sei zum Ungeheuer geworden, er
wirbelt nochmals durch Erkenntnisse, Zweifel und Theorien. Er nennt sich einen
Chronisten der eigenen Seele. Und schlägt schließlich vor, Kokain zu
legalisieren:
Zitat: Ist das
zu gewagt? Ist es eine Phantasie? Das Delirium eines Ungeheuers? Vielleicht.
Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht ist es ein weiteres Stück des Abgrunds,
an den sich nur wenige herantrauen.
Zero Zero Zero- wie Kokain die Welt beherrscht ist eine atemlose Berg- und Talfahrt durch
die abartige Welt der Drogenkriminalität. Harte Reportage trifft auf Pathos
trifft auf Psychogramm. Wer das Buch durchgelesen hat, muss vor allem eines
tun: tief Luft holen.
Roberto Saviano: Zero Zero Zero – Wie das Kokain die Welt beherrscht, aus dem
Italienischen von Rita Seuß und Walter Kögler (Carl Hanser Verlag)