Kontext, 17. Jänner 2014
Amerikas Kriegsgeschichte ist lang und oft unheilvoll. Filmemacher spüren diesem Trauma nach, schaffen Raum für Interpretation und machen Schlachten und Feldzüge wenn auch nicht begreifbar, so dennoch erfahrbar. Erinnerungen und Schicksale von Soldaten fließen in das kollektive Gedächtnis einer Nation ein. Hollywood als zentraler Ort der Darstellung dieser nationalen Erzählungen steht im Mittelpunkt des Buches Hollywoods Kriege – Geschichte einer Heimsuchung. Es ist eine Annäherung an das Unbegreifliche, eine faszinierende Beschreibung der Erinnerungskultur im amerikanischen Kino.
Krieg ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig, auch in Friedenszeiten. Die Kinomaschinerie in Hollywood produziert jedes Jahr zahlreiche Kriegsfilme, die Filmemacher stoßen jedoch immer wieder an die Grenzen dieses Unterfangens: Wie lassen sich die Schrecken des Krieges authentisch inszenieren? Wo treffen militärisches und filmisches Spektakel aufeinander? Diesen Fragen geht die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen in ihrem Buch Hollywoods Kriege – Geschichte einer Heimsuchung auf den Grund. Und sie gibt auf viele dieser Fragen durchaus selbstbewusste Antworten:
Zitat: In diesem Buch
behaupte ich durchgehend, dass Filme, in denen es um Repräsentation von Krieg
geht, in besonderem Maße selbstreflexiv sind. Die sonderbar unverwüstliche
Allianz zwischen militärischem Spektakel und filmischer Reinszenierung, aber
auch zwischen der Art und Weise, wie wir Krieg auf der Leinwand neu erfassen
und wie uns dies hilft, ihn in der realen Welt zu verstehen, liegt daran, dass
beide von ihrer Fähigkeit zur Bewegung leben.
Wer eine enzyklopädische Aufarbeitung des Genres erwartet,
wird enttäuscht. Doch die Auswahl der zitierten Filme lässt eine unerwartete
Bandbreite an Analysen, Interpretationen und Bewertungen zu. Neben klassischen
Kriegsfilmen und Dokumentationen haben in Bronfens Buch auch Produktionen aus
Film Noir, Western oder Fernsehserien Platz. Als Beispiele seien hier die
Bürgerkriegserzählung The Birth of a
Nation, die klassische Studioproduktion Gone
with the Wind oder das Heldenepos Glory
genannt.
Zitat: Kriegsfilme sind sich
darüber bewusst, dass sie vergangene Erfahrungen zwar nicht ausschließlich,
aber doch zu einem großen Teil, für ein Publikum wieder aufsuchen, das nicht
dabei war. Durch das Teilen von personalisierten Geschichten, die auf der
Leinwand dramatisiert werden, haben wir Zugang zu einem Wissen über die
Vergangenheit aus zweiter Hand, das vor allem affektiv ist.
In sieben Kapiteln nähert sich Brofen dem Genre Kriegsfilm
an, dabei geht es zum Beispiel um die Bedeutung und den Einsatz von Musik. Über
Glenn Miller und den Swing, der die Moral heben und Soldaten anwerben sollte,
geht die literarische Reise vorbei an Marlene Dietrich bis hin zum von
Wagner-Klängen unterlegten Angriff auf ein vietnamesisches Dorf in Francis Ford
Coppolas Film Apocalypse Now von 1979.
Laut Bronfen ist die Beziehung zwischen militärischen Operationen und
Kriegsunterhaltung eine überaus merkwürdige, besonders gut sei das im Film This is Army zu erkennen:
Zitat: Michael Curtiz` This is Army [aus dem Jahr] 1943 […]
lässt die Grenzen zwischen den militärischen Ausstattungsstücken auf und
außerhalb der Bühne noch radikaler verschwimmen, indem er auf der Leinwand eine
der populärsten Soldatenshows der Heimatfront des Zweiten Weltkrieges reinszenierte
und dabei echte Soldaten einsetzte, die im Anschluss nach Übersee verschifft
wurden.
Ein weiteres Kapitel heißt: Choreographie der Schlacht. Wie
wird das Geschehen filmisch umgesetzt? Wie werden die traumatischen Erlebnisse
der Soldaten auf der Leinwand lebendig? Wie kann die Verworrenheit einer
Schlacht für ein Kinopublikum erlebbar gemacht werden? Bronfen bezieht sich
hier unter anderem auf den Spielberg-Film Saving
Private Ryan:
Zitat: Es wurde viel über
Steven Spielbergs dreiundzwanzigminütige Reinszenierung der Landung am Omaha
Beach geschrieben. Die Wahrhaftigkeit und die viszerale Wirkung dieser
Leinwandschlacht wurden gepriesen, während zugleich auch betont wurde, wie sehr
sich Saving Private Ryan sowohl die
Tradition des Hollywoodkriegsfilmes als auch die Innovationen der Kinotechnik
zunutze macht, um das Genre erneut in die Kultur des Kriegsgedenkens im späten
zwanzigsten Jahrhundert einzuschreiben.
Was dann folgt ist eine detailgenaue Analyse der Szene, der
Leser erfährt, welche Register des Genregedächtnisses gezogen, wie authentische
Berichte eingearbeitet und mit welchen ästhetischen Mitteln die Sequenzen
schließlich montiert wurden.
Spannend ist auch das Kapitel, in dem sich
Elisabeth Bronfen mit Gerichtsdramen auseinandersetzt. Etwa mit Judgment at Nuremberg aus dem Jahr 1961
oder mit dem im Jahr 2000 angelaufenen Film Rules of
Engagement. Es geht um Kriegsverbrechen und die grundsätzliche Legitimität
des Krieges. Es geht um politische Interessen, Korrumpierbarkeit, Moral und die
Suche nach Gerechtigkeit. Es geht um eine Reinszenierung der Kriegshandlungen
im geschützten Raum des Gerichtssaals.
Zitat: Das Gerichtsdrama
imitiert die[ ] juristische Kampfszene auf der extradiegetischen Ebene, indem
es die Zuschauer zwischen der Wahrheit, die im Gerichtssaal präsentiert wird,
und der Gegenwahrheit, die die Erzählung dieser entgegenstellt, hin und her
pendeln lässt. Wir, die Kinozuschauer, fungieren als die Instanz, an die im
Namen der Gerechtigkeit appelliert wird, unabhängig davon, ob eine solche
Gerechtigkeit auf der narrativen Ebene des Filmes überhaupt möglich ist.
Krieg hinterlässt quer durch die Gesellschaft seine Spuren.
Und das Kino ist offenbar der Ort, wo vor allem Amerika immer wieder seine
kriegsgeschichtlichen Traumata aufgreift und aufarbeitet. Elisabeth Bronfen legt
in diesem knapp 500 Seiten starken, penibel recherchierten Buch den Fokus auf
neue Blickwinkel und findet oftmals überraschende, doch immer schlüssige Interpretationen. Über 80 Filme werden erwähnt oder es wird aus
ihnen zitiert - eine Liste dieser Filme, zahlreiche weiterführende Anmerkungen
und ein ausführliches Register runden dieses gelungene und interessante Werk
ab.
Elisabeth Bronfen Hollywoods
Kriege – Geschichte einer Heimsuchung, aus dem Amerikanischen von Regina
Brückner (S. Fischer Verlag, 2013)