Kontext, 22.11.2013
Ratten sind bei den meisten Menschen nicht besonders beliebt. Sie gelten als schmutzig, leben in der Kanalisation und übertragen jede Menge Krankheiten. Doch die Ratte ist eines der wichtigsten Labortiere und sorgt Jahr für Jahr für Fortschritte und neue Erkenntnisse in zahlreichen wissenschaftlichen Bereichen – von der Medizin über die Biologie bis hin zur Psychologie. Und wir Menschen können von Ratten noch sehr viel mehr lernen, davon ist die Autorin Kelly Lambert in ihrem Buch Lehrmeister Ratte überzeugt.
Seit gut fünfundzwanzig Jahren erforscht Kelly Lambert, Professorin für Psychologie im US-Bundesstaat Virginia, die Hirnfunktionen von Laborratten. Und auch wenn Mensch und Ratte laut einer Studie zu etwa 90 Prozent die gleichen Gene besitzen, war doch die Beziehung zwischen den beiden lange Zeit nicht von besonders großer Zuneigung gekennzeichnet. In die USA kamen die Nagetiere mit Schiffen aus verschiedenen Regionen Europas.
Ratten sind bei den meisten Menschen nicht besonders beliebt. Sie gelten als schmutzig, leben in der Kanalisation und übertragen jede Menge Krankheiten. Doch die Ratte ist eines der wichtigsten Labortiere und sorgt Jahr für Jahr für Fortschritte und neue Erkenntnisse in zahlreichen wissenschaftlichen Bereichen – von der Medizin über die Biologie bis hin zur Psychologie. Und wir Menschen können von Ratten noch sehr viel mehr lernen, davon ist die Autorin Kelly Lambert in ihrem Buch Lehrmeister Ratte überzeugt.
Seit gut fünfundzwanzig Jahren erforscht Kelly Lambert, Professorin für Psychologie im US-Bundesstaat Virginia, die Hirnfunktionen von Laborratten. Und auch wenn Mensch und Ratte laut einer Studie zu etwa 90 Prozent die gleichen Gene besitzen, war doch die Beziehung zwischen den beiden lange Zeit nicht von besonders großer Zuneigung gekennzeichnet. In die USA kamen die Nagetiere mit Schiffen aus verschiedenen Regionen Europas.
Zitat: Menschen und Ratten haben viel gemeinsam,
schließlich sind beide Opportunisten und Allesfresser. Und die Ratten waren so
schlau herauszufinden, dass es überall dort, wo Menschen waren, Nahrung für sie
gab - so entwickelte sich eine wunderbare Beziehung. [...] Man nennt sie auch
kommensale Säugetiere, das heißt, sie teilen den Tisch mit uns, indem sie sich
ihre Nahrung von den Menschen holen, ohne größeren Schaden anzurichten. Unsere
Beziehung zu ihnen nahm vor etwa einem Jahrhundert eine neue Wendung, als die
Naturwissenschaft sie als Gegenstand ihrer Forschung entdeckte.
Die Forscher erkannten das große Potenzial, das
eine Beschäftigung mit diesen Nagern mit sich brachte. Ihre Anpassungsstrategien
etwa oder ihr soziales Verhalten. Um Antworten auf ihre Forschungsfragen zu
bekommen, stellte Kelly Lambert immer wieder neue Testreihen zusammen und
versuchte immer wieder, von den Untersuchungsergebnissen auch Erkenntnisse
abzuleiten, die dem Menschen nützen könnten. Die Autorin schätzt bei ihrer
Arbeit mit Ratten vor allem deren echtes und unverfälschtes Verhalten.
Zitat: Meine Nagetiere sagen mir niemals, sie würden
den Stoff kennen, aber in Tests eben nie gut abschneiden, sie könnten besser
visuell (oder im Falle der Ratten olfaktorisch) lernen oder hätten
Prüfungsangst und müssten in einem separaten Raum geprüft werden. Wenn ich mit
Ratten arbeite, stelle ich die Frage und bekomme die Antwort.
Diese gelte es dann zu analysieren und in einen
anderen Kontext zu setzen.
Doch dann stehen am Ende wertvolle Erkenntnisse zu
Themen wie Gesundheitsvorsorge, Konfliktlösung, Liebesangelegenheiten,
Intelligenz oder familiäre Werte. Es geht um Ähnlichkeiten im Essverhalten und
die Feststellung, dass Ratten genauso gierig auf Junkfood sind wie Menschen; es
geht um Abhängigkeiten, egal ob es sich um Zuckerwasser handelt oder Drogen; es
geht darum, was die intensive Fellpflege der Nagetiere mit dem Grad an
Intelligenz zu tun hat. Gepflegtes Haar ist, zumindest bei Ratten und Mäusen,
ein Anzeichen für geistige Gesundheit, meint die Autorin. Und es geht um
Stress. Allerdings gibt es Menschen wie Ratten, die besser damit umgehen
können. Tests bestätigen etwa, dass mutige Ratten länger leben.
Zitat: Die Forschungen deuten also darauf hin, dass
Stressreaktionen nicht bei allen gleich ablaufen. Eine Persönlichkeit, die mehr
Sinn für Entdeckungen mit sich bringt, ist adaptiver, als wenn man zu
schüchtern ist, eine neue Umgebung zu erforschen. Für unser Leben können wir
daraus ableiten, dass unsere alltäglichen Stressreaktionen - etwa auf eine neue
Kollegin, ein neues Computerprogramm oder eine neue Verkehrsführung -
signifikanten Einfluss auf unser Wohlbefinden und unsere Lebenserwartung haben.
Besonders im sozialen Bereich, bei Interaktionen
im Miteinander der Rattenfamilie, im Ausfechten von Gebietsansprüchen oder auch
in der Manipulation des anderen zum eigenen Vorteil, fand Kelly Lambert
zahlreiche Übereinstimmungen zwischen dem Verhalten der Nager und dem der
Menschen.
Zitat: Nachdem ich das erste Mal etwas darüber gelesen
hatte, dass Ratten einander mithilfe spielerischer Kämpfe sozial einschätzen,
sagt ich zu meinen Studenten, das sei quasi die Rattenvariante des
Golfspielens: Zwei miteinander konkurrierende, aber einander halbwegs freundlich
gesonnene Kollegen (oder Kolleginnen) verbringen einen Tag zusammen und klopfen
den anderen dabei auf Kenntnisse von Firmeninterna ab. Beide Konkurrenten
beurteilen Selbstvertrauen, Intelligenz, Engagement und Sportlichkeit des
jeweils anderen und haben am Ende die nötigen Informationen, um zu bestimmen,
wer in der Rangfolge weiter oben und wer weiter unten steht - alles unter dem
Deckmantel des Spiels.
Kelly Lambert ist Forscherin mit Leib und Seele.
Sie zitiert Studien, erzählt aus dem universitären Alltag, beschreibt die
Testreihen, die in ihrem Labor stattfinden, bis in alle Einzelheiten. Die
Erkenntnisse, die sie aus den Versuchen zieht, werden auf alltägliche
Situationen umgelegt, oft bezieht Kelly Lambert sich und ihre Familie in diese
Betrachtungen ein. Wie etwa bei einer Studie, in der eine Rattengruppe auch
dann belohnt wurde, wenn sie eine Aufgabe nicht erledigt hatte. Es ging also
ums Verwöhnen.
Zitat: Die Ergebnisse unserer Rattenstudie machten
deutlich, dass unverdiente Belohnungen die Kalkulationen des Gehirns bezüglich
Arbeit und Lohn durcheinanderbringen und damit auch die emotionale Resilienz
beeinträchtigen. Als mir dies klar wurde, trat die Wissenschaftlerin in mir in
den Hintergrund und die Mutter in den Vordergrund. Meines Erachtens ist eine
der wichtigsten Lehren, die ich meinen Kindern mit auf den Weg geben muss, das
Wissen, dass positiven Konsequenzen stets harte Arbeit vorausgehen muss. Ich
sage ihnen immer, dass sie sich nach jedem Fehlschlag wieder aufrappeln und
weiter ihre Ziele verfolgen sollen.
Es gibt, so hat man nach der Lektüre des Buches
den Eindruck, tatsächlich einiges, was der Mensch vom Lehrmeister Ratte
lernen kann. Manches mag banal klingen, etwa: Eine gesunde Lebensweise ist
die beste natürliche Medizin oder Psychischer Stress ist schädlich.
Dennoch ist es wohl ab und zu gut, das eigene Leben aus einem anderen
Blickwinkel zu betrachten. Die Begeisterung der Autorin für ihr
Forschungsgebiet und dessen Protagonisten macht dieses Buch sympathisch und
verschafft auch dem Laien einen oft erstaunten, immer aber interessanten
Einblick in die Welt der Forschung.
Kelly G. Lambert: Lehrmeister
Ratte (aus dem Englischen übersetzt von Jorunn Wissmann, erschienen bei
Springer Spectrum)